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Kultur: Brav und artig war ich nicht

Über eine Vier freut sie sich bestimmt: Eine Geschichte zum Muttertag – aus der Sicht eines 12-Jährigen

Unsere Nachbarn haben eine Pizzeria. Da hab ich gelernt, wie Pizza gemacht wird. Und jetzt kann ich’s gut.

Als ich das mit der Pizza erwähnte, rief Edo sofort: „Wir sind dieses Wochenende bei Papa. Da musst du Pizza backen, lecker! Palo, wir müssen Mehl und Hefe kaufen.“ Wir holten uns Geld von Mama und rannten zu Kaiser’s. Überall im Laden hingen große Schilder: „Am Sonntag ist Muttertag!“, und in den Regalen lagen fertige Geschenkpakete zum Muttertag. Ich dachte schon, bestimmt ist um die Hefe noch eine Schleife drum zum Muttertag. Vor der Kasse stand ein Plakat auf einem Ständer mit Pralinen. Edo, dieser Spacko, liest immer die Werbung laut vor. Das nervt, wenn man mit ihm einkaufen geht, denn er liest alle Plakate laut vor. Er las also: „Pralinen. Zum Muttertag für die liebste aller Mütter!“

Draußen in der Blumenabteilung war eine ganze Ecke eingerichtet, alles Blumensträuße aus roten Rosen mit Herzchen dran und so was. Edo las wieder laut vor: „Rosen erfreuen das Mutterherz!“

„Ja“, sagte ich, „es reicht jetzt, du kleine Ratte.“

„Ich glaube, wir haben etwas Geld über“, sagte Edo. Wir gingen schnell zum Kuchenstand. Da gab es lauter Erdbeerkuchen in Herzform, alles zum Muttertag. Wir kauften uns jeder ein Käsebrötchen, dann liefen wir nach Hause und aßen unterwegs die Brötchen auf, damit Mama nichts merkt.

Das Wochenende bei Papa war wieder total geil. Wir sind natürlich an beiden Abenden spät ins Bett gekommen. Papa hat nämlich mit uns am Freitagabend einen Action-Thriller geguckt, „Password: Swordfish“ mit John Travolta. Und am Samstagabend waren wir alle drei im Kino. Wir haben „Déjà vu“ gesehen. Ich bin ja fast 13, aber Edo hätte eigentlich noch nicht reingedurft, denn er ist erst neun, und der Film ist ab 12. Wenn Mama das hört, dann kreischt sie wieder. Und danach, also nach dem Film, hab ich die Super-Pizza gebacken.

Und dann fiel Papa ein, dass er Mama versprochen hatte, er wollte mit mir Mathe üben. Es war aber schon fast Mitternacht, und deshalb haben wir es auf Sonntag verschoben. Am Sonntagmorgen beim Frühstück haben wir noch an das Matheüben gedacht. Und dann haben wir es vergessen. Jedenfalls haben wir erst um fünf Uhr angefangen, und da war Papa schon so genervt, dass er nach einer Viertelstunde gesagt hat: „Schluss für heute, ich kann nicht mehr. Es ist zum Verrücktwerden. Mathe war noch nie mein Ding.“ Ich konnte Mathe noch nicht richtig, aber wenn Papa sagt, wir hören jetzt auf … Mist, Montag in der ersten Stunde ist die Arbeit. Ich hatte ein ganz blödes Gefühl im Magen.

Um sechs Uhr fuhren wir mit der S-Bahn nach Hause, und da saß Mama und war so was von stinksauer, und vor ihr auf dem Tisch stand ein Teller mit einer Erdbeertorte in Herzform.

Da hatten wir’s. Es war Muttertag, und keiner von uns hatte dran gedacht, auch Papa nicht. Wir alle hatten es total vergessen. Das Kuchenherz war ein Geschenk für Mama von Oma und Opa, die waren zu Besuch gekommen und waren schon wieder weg.

Mama war so traurig. Erst voriges Jahr hatten wir ihren Geburtstag vergessen, und dieses Jahr – den Muttertag. Sie sagte, sie fände uns so gemein, dass man es gar nicht in Worte kleiden kann. Ich musste ihr zeigen, wie viel Mathe wir geübt hatten, und natürlich fand sie, es war viel zu wenig. Als sie noch schimpfte, rief Edo plötzlich: „Warte, Mama! Hier! Ich hab doch was für dich, hier in der Schultasche! Das haben wir in der Schule geschrieben, es ist mir gerade eingefallen! Ich lese es dir vor:

Liebe Mutter, im Gedicht

Will ich es dir sagen:

Brav und artig war ich nicht

An so manchen Tagen.

Aber bessern will ich mich,

und zum Muttertage

sollst du wissen, dass ich dich

herzlich gerne habe!“

Der kleine Schleimer, der hatte was für Mama, aber ich nicht. Ich hatte nichts, kein Geschenk, weil wir auf dem Gymnasium so was nicht mehr machen! Und es reimt sich nicht mal richtig: Tage/habe, das ist ein ganz blöder Reim. Überhaupt ist das ein ganz doofes Gedicht.

Mama gab Edo ein Küsschen, und er streckte mir die Zunge raus und ging zufrieden mit seinen Sauriern spielen, und ich, ich habe mich so geärgert, dass ich rausgegangen bin in den Garten und ein bisschen geweint habe.

Dann hat Mama gerufen, wir sollen in die Küche kommen, der Tee ist fertig, und jetzt gibt es für jeden ein Stück von der Erdbeertorte in Herzform. Wir aßen also Torte, und Edo fütterte den Saurier mit Erdbeeren und sagte: „Mama, jetzt erzähl ich dir, was für einen tollen Film wir bei Papa im Fernsehen geguckt haben. Also, da war so ein Böser, war da, der hat gesagt: ,Hängt sie auf!‘ Und dann haben die Männer die Frau mit dem Kabel, ach nee, das war ein dickes Tau, damit haben die die aufgehängt. Und dann hat er sie erschossen. Und dann hat er sich rasiert.“

„Du Spacko!“, schrie ich. „Das war doch die Werbung!!!“

Edo wurde total verlegen.

„Der hat sich aber rasiert, ich hab’s doch gesehen. Und dann hing da ein Bus an einem Hubschrauber. Der eine Mann in dem Büro hat sich erschrocken. Er hat seine Kaffeetasse auf den Fußboden fallen lassen und hat gesagt: ,Scheiße‘. Da ist nämlich der Bus vom Hubschrauber runter genau in das Fenster von dem Büro reingeknallt, rumms! Und dann kamen die Krankenwagen.“

Ich glaube, Edo wollte Mama mit seinem Erzählen noch eine Freude machen. Aber der ist einfach nur doof, und was er erzählt, das versteht doch keiner. Mama gab ihm ein zweites Stück Torte und sagte: „Ich glaub, ich hol uns mal die Schokolade aus dem Wohnzimmer.“

Aber sie wollte bloß Papa anmeckern, und wir hörten, wie sie in ihr Handy kreischte: „Hallo, Elmar, hier spricht Jutta! Ja, schön, du bist im Moment nicht zu erreichen, klasse! Also, ich sag deiner Mobilbox, du bist in meinen Augen völlig bekloppt, dass du als Vater die Kinder solche Filme gucken lässt. Mehr sag ich nicht dazu. Du hast doch null Verantwortungsgefühl. Und tschüss.“

Natürlich war sie wieder auf 180. Immer ist Theater. Sogar am Muttertag. Gut, dass Edo nichts von „Déjà vu“ erzählt hat. In der Mathearbeit krieg ich, glaub ich, doch noch ’ne Vier. Das hat Herr Pudel gesagt. Er wollte nämlich sofort wissen, ob ich mich in Mathe verbessert habe, und da hat er meine Arbeit direkt nach der Stunde schon kurz durchgesehen. Ich hab’s Mama sofort erzählt. Bestimmt freut sie sich über eine Vier mehr als über so ein doofes Muttertagsgedicht!

Und jetzt back ich ihr ’ne Pizza.

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