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Kultur: Breitissimo!

Christian Thielemann mit den Philharmonikern

Drei, vier Takte – mehr braucht Christian Thielemann nicht, um die Zauberkammer der Romantik zu öffnen: Die Aura des Geheimnisvollen ist in Robert Schumanns „Genoveva“-Ouvertüre sofort da, wie aus dunkler Tiefe scheinen die Töne aufzusteigen, verstörende Triller wandern von den Celli zu den Bratschen. Die Berliner Philharmoniker haben ihn an diesem Abend, den viel beschworenen „deutschen Klang“, dunkel, kaminfeuerwarm, ein Märchenwald voll rätselhaft-raunender Nebenstimmen. „Leidenschaftlich bewegt“ lautet die Vortragsbezeichnung – genauso klingt es auch bei Thielemann.

Gut, dass Alban Gerhardt in Schumanns Cellokonzert einen kräftigen Kontrapunkt setzt: Er spielt seinen Solopart so licht und aufgeklärt, als wär’s ein Stück von Haydn. Kein Pathos, nicht mal ein schwärmerisches Seufzen erlaubt er sich, geht geradlinig seinen Weg durch das Werk. Das Mulmige im Hintergrund muss wohl das Orchester sein. Thielemann und Gerhardt wurden beide in Berlin geboren, gehören derselben Generation an – und doch trennen sie Welten: Der eine lebt im 21. Jahrhundert, der andere ist tief im 19. verwurzelt. Thielemanns Interpretation von Johannes Brahms’ erster Sinfonie klingt darum, wie der Berliner Dom aussieht. Da wesen Urkräfte, da wagnert es mächtig („Siegfried“!, „Holländer“!), da überhöht er das breitissimo genommene Hornthema, den Posaunenchoral des Finales zur Weihefeier, da schlägt Leidenschaft schnell ins Bedrohliche um. Grandios aber sind die leisen Passagen, weil sie in dieser von explosiver Energie durchpulsten Lesart enorme Spannung, größtmögliche Konzentration gewinnen, den Saal zum kollektiven Luftanhalten zwingen. Christian Thielemann, das wird an diesem umjubelten Abend erneut deutlich, ist ein grand cru de Bordeaux: Natürlich kann man ihn jetzt schon genießen – aber, Freunde, wartet mal ab, wenn der noch 20 Jahre gereift ist!

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