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Kultur: Breitseite gegen Hollywood

Das illegale Kopieren von Filmen wird zum Volkssport: Droht das Ende des Kinos als Massenkultur?

Die Oscar-Verleihung 2013 – zum Heulen: Statt im pompösen Kodak Theater, das sich die Academy längst nicht mehr leisten kann, treffen sich die Filmschaffenden in einer High-School-Aula. Die früher so glamouröse Catherine Zeta-Jones erscheint im schlichten Jeanskleid, die Turnschuhe dazu trug sie schon letztes Jahr. Favorit für die beste männliche Hauptrolle ist George Clooney, der sogar noch im Zirkusdirektoren-Frack vom Kostümverleih gute Figur macht. Und Wim Wenders, der mit „Ein langer Film über das Filmen“ den deutschen Beitrag lieferte, musste ganz zu Hause bleiben: Ein teures Flugticket kann sich kein Regisseur mehr leisten.

Sieht so die Zukunft der Filmindustrie aus? Mahner warnen vor ihrem Untergang, wenn der Staat nicht bald effektiv gegen den großen Feind der Filmbosse vorgeht: die Filmpiraten. Damit sind nicht die Kajal-geschminkten Abenteurertypen von Errol Flynn bis Johnny Depp gemeint, die in putzigen Kostümen durch die Takelage klettern und seit Generationen Hollywoods Kassen füllen. Filmpiraten – die Branche spricht neuerdings ganz unromantisch von Raubkopierern – kopieren illegal Videodateien und zerstören so die lukrative Wertschöpfungskette, die sich die Filmindustrie aufgebaut hat. Allein 2002 sind nach Branchenschätzungen knapp 60 Millionen CDs und DVDs mit Filmdateien bespielt worden.

Mit der massenhaften Verbreitung digitaler Datenträger hat das „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ eine völlig neue Dimension erreicht. Meinte Walter Benjamin vor 70 Jahren damit noch die Herausforderung von Malerei und Theater durch Fotografie und Film, so geht es jetzt um die unendlich verfügbare pure Kopie eines beliebigen neuen Films. Und: Sogar der Begriff der Kopie muss, streng genommen, neu definiert werden. Eine Kopie galt bisher grundsätzlich als qualitativ minderwertig. Digital übertragene Dateien dagegen sind identische Klone des Originals.

Vor allem der dramatische Umsatzeinbruch der Musikbranche, die die Unternehmen überwiegend auf illegale Raubkopien aus dem Internet zurückführen, macht nun den Hollywood-Studios Angst. Da das Kopieren größeren Filmdateien vergleichsweise mehr Aufwand erfordert, werden Filme zurzeit noch in geringerem Umfang als als Musikdateien im Internet kopiert. Doch die Übertragungsgeschwindigkeiten werden immer höher. Zudem kaufen sich immer mehr Menschen DVD-Spieler, mit denen sich Videodateien in Heimkinoqualität abspielen lassen. Branchenexperten schätzen, dass bereits knapp 30 Prozent der europäischen Haushalte einen DVD-Spieler besitzen.

„Raubkopien sind eine existenzielle Herausforderung für die Filmindustrie“, fasst Rolf Bähr, Vorstand der Filmförderungsanstalt, die Stimmung in der Branche zusammen. Bisher funktioniert die Vermarktung so: Ein Film wird im Kino gezeigt, rund ein halbes Jahr später kann man ihn als Video und DVD ausleihen. Damit wurden letztes Jahr europaweit 11 Milliarden Euro umgesetzt, erstmals mehr als mit Kinofilmen. Danach läuft ein Film in Abo-Sendern wie Premiere. Wieder ein halbes Jahr später erreicht der Film den Discount-Konsumenten gratis im werbefinanzierten Fernsehen.

Wer zu den ersten Zuschauern gehören will, muss für das gleiche Produkt mehr zahlen als andere. Das ist bei anderen Kulturgütern nicht unbekannt: Man denke an gebundene Erstausgaben oder das Premierenabo der Oper. Doch so vielfältig abgestuft ist die Verwertungskette nur beim Film. Zudem hat im Zeitalter der Film-Klone nur die Aufführung im Kino, das mit großer Leinwand, ausgefeilter Technik und Theateratmosphäre aufwartet, einen qualitativen Mehrwert.

Die Filmbranche argumentiert, die hohen Produktionskosten machten eine umfassende Vermarktung notwendig. „Die wenigen erfolgreichen Filme müssen auch die Verluste der vielen erfolglosen Produktionen wieder einspielen“, sagt Bähr. Schlimmstmögliche Folge: Wegen der Schäden durch Raubkopierer ist niemand mehr bereit, besonders aufwendige Produktionen fürs Kino in Angriff zu nehmen.

Wenn es tatsächlich so weit käme: Wie kann Hollywood dann überleben? Kommt die Filmwelt ohne Glamour und Großproduktionen aus? Schließlich hat der Film immer vom Monströsen profitiert – mit monströsen Verbrechergestalten von Doktor Mabuse bis Darth Vader und monströsen Etats von „Metropolis“ bis „Titanic“. Internet-Optimisten dagegen – vor allem die kleineren Independent-Produzenten – hoffen auf eine ganz neue Ära, in der jeder sich Filme direkt von der Homepage des Filmemachers ziehen kann. Und das, ohne aufgeblähte Marketingimperien mitzufinanzieren.

In den USA ist der Kampf der Industriekapitäne gegen Musik- und Filmpiraten voll entbrannt. In einer ersten Klagewelle hatte die Recording Industry Association of America (RIAA) 261 Tauschbörsen-Nutzer zum Teil auf Millionenbeträge verklagt, darunter viele Teenager. Meist wurden die Prozesse nach Zahlung einiger tausend Dollar in Vergleichen beigelegt. Kürzlich ist eine zweite Prozesswelle gegen 204 Schwarzkopierer angelaufen. Auch in Deutschland wurden erst im September schärfere Urheberrechtsgesetze beschlossen. So steht nun das Anbieten von urheberrechtlich geschützten Dateien im Internet unter Strafe. Und schon will die Industrie das Gesetz weiter verschärft sehen. So soll das seit 1965 geltende Recht auf private Kopien legal erstandener Werke gestrichen werden. Dann wären selbst Mixkassetten mit Lieblingsliedern verboten. Zudem plant die Branche demnächst eine große Aufklärungskampagne gegen Filmpiraten. Motto: „Raubkopierer sind Verbrecher“.

Mit solchen Parolen wollen die Hersteller ein Hauptproblem ihrer Branche angehen. Denn die Nutzer haben gegenüber der Filmindustrie kein Unrechtsbewusstsein. Florian Rötzer, Chefredakteur des Internet-Kulturmagazins Telepolis, erklärt sich das durch die „extreme Diskrepanz zwischen dem Einkommen des Arbeitnehmers und dem Millionenverdienst von Hollywood-Größen“. Seine Prognose: Die vom Zuschauer als zu hoch empfundenen Preise für Kinokarten und DVDs wird die Branche nicht halten können. Gegen die Massenbewegung aus dem Internet habe sie keine Chance.

Hoffentlich bleibt Hollywood dennoch ein bisschen Geld für Glamour. Denn eine Oscarverleihung, die so nüchtern abläuft wie die Bilanzpressekonferenz eines Großunternehmens, können sich nicht mal die übelsten Filmpiraten wünschen.

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