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Kultur: Bretterhimmel und Moosfußboden Neuer Kunstort: Grafiker, Designer und Glasbläser beleben das einstige Berliner Münzamt in Mitte

Im Erdgeschoss wird noch gesägt und gehämmert. Im ersten Stock hat das Schöne bereits ein Zuhause gefunden.

Im Erdgeschoss wird noch gesägt und gehämmert. Im ersten Stock hat das Schöne bereits ein Zuhause gefunden. Es riecht nach Holz, über dem Flur wölbt sich ein grob gezimmerter Bretterbaldachin. Darunter hängen längliche Fluggebilde, Glaskörper des schwedischen Künstlers Jan Lambert Kruse. Auf einem Sideboard stehen hübsche Objekte, die Lust machen, sie in der Hand zu wiegen und zu wenden: Flaschenöffner in Halbmondform, hölzerne Tassen und Teller von Oji Masanori, einem Designer aus Tokio.

Das Direktorenhaus, an der Mühlendammschleuse in Mitte gelegen, will eine Plattform für angewandte Kunst in Berlin werden. Nichts weniger als ein Gesamtkunstwerk, das alle Sinne anspricht, soll hier entstehen. Noch sind die beiden Galeristen und Kuratoren Pascal Johanssen und Katja Kleiss mit dem Ausbau beschäftigt, aber schon bald werden sich auf 1000 Quadratmetern Glasbläser, Illustratoren, Grafiker und Möbeldesigner ausbreiten können.

Geöffnet ist schon. Der Berliner Illustrator Olaf Hajek spielt die Hauptrolle in dieser ersten Ausstellung. Seine „Flowerheads“ sind kahlköpfige Männer mit langen Bärten, aus denen sich Wasserfälle ergießen, Blumen ranken und Berge erheben. Fabelmotive tauchen auf, kosmologische Darstellungen, Ornamente und naturkundliche Studien. Manchmal schimmern Zeitungsschnipsel durch. Die bunten Farben erinnern an Volkskunst. Hajeks Acrylbilder werden in Magazinen und Zeitungen gedruckt. Er gewann die Goldmedaille des Art Directors Club Europe. In Amerika nennen sie ihn Künstler. Hierzulande ist er der Dienstleister.

Welch weites Feld Johanssen und Kleiss beackern, das zeigen sie am Ende des Flures: Dort steht ein fast deckenhohes Blumenarrangement. Aus einem hohlen Baumstamm ragt Schleierkraut, der Boden ist mit Moos bedeckt. „In Holland gibt es eine sehr ausgefeilte Floristik“, sagt Johanssen. In Belgien könne man sogar Floraldesign studieren. Die Installation kostet 6000 Euro – und hält eine Woche. „Das ist natürlich grenzwertig“, sagt er, „aber wir wollen zeigen, dass so etwas existiert.“

Bei dem Wort Kunsthandwerk denken viele an Töpferkurs und Seidenmalerei. Dabei ist es ein sehr passender Begriff, der die vermeintlichen Gegenpole Kunst und Handwerk vereint. Pascal Johanssen sagt jedoch lieber „Neocraft“. Die Bewegung versucht an die ganzheitlichen Ideen von Bauhaus oder des Deutschen Werkbunds anzuknüpfen, angewandte und freie Kunst voneinander profitieren zu lassen, von der Idee bis zur handwerklichen, detailverliebten Ausführung. „Wichtig sind Form und Material“, sagt Johanssen bei einem Rundgang durch sein Haus. In der zeitgenössischen freien Kunst gehe es hingegen eher ums Konzept.

Der Kurator mit der schwarzen Designerbrille biegt in einen Raum mit einer Arbeit von Line Depping ein. „Das ist für mich typisches Neocraft“, sagt er. Die dänische Designerin hat einen Tisch mit so vielen verschiedene Ebenen und Abteilen entworfen, dass sie verspricht, ihn nicht mehr aufräumen zu müssen, weil darauf sowieso alles verteilt liegt. Dinge etwa, deren Formen seltsam vertraut sind – und die doch nur filigrane Zitate von Bürsten, Fächern oder Löffeln sind. Benutzen kann man sie nicht. Depping spielt mit den Grenzen zwischen funktionellem Sinn und rein ästhetischem Vergnügen. „Der Unterschied von Neocraft zum Design und zur Kunst ist der Charme und die Wärme, die ein Objekt ausstrahlt“, erklärt Johanssen. Design und Kunst seien oft so distanziert kühl.

Johanssen und seine Partnerin Katja Kleiss leisten Vermittlungsarbeit. Vor vier Jahren hatten die beiden die Illustrative gegründet hat. Ein Kunstfestival, das sich ganz auf Grafik und Illustration spezialisiert hat, und mal in Berlin, Zürich oder Paris stattfand. Gezeigt werden freie Arbeiten, keine Auftragswerke, darauf legen die Kuratoren Wert. Schließlich soll es auch hier die Grenzen zwischen freier Kunst, Handwerk und Design ausgelotet werden. 2008 haben sie zudem das Magazin „Objects“ ins Leben gerufen. Es erscheint alle drei Monate auf Englisch und Deutsch und schlägt in Essays und Bilderstrecken einen Bogen zwischen Kunsttheorie und Lifestyle.

„Das Direktorenhaus ist die logische Konsequenz aus unseren bisherigen Projekten“, sagt der Galerist. Seine „Johanssen Gallery“ ist von der Gormannstraße gleich mit in das Gebäude am Krögel gezogen. Das Haus, erbaut 1935, gehörte zur Alten Münze. In diesem Flügel hatte die Führungsriege des Münzamtes ihre Büros, daher der Name. Im Zweiten Weltkrieg lagerten in den Tresorräumen Kunstschätze der Museumsinsel. Bevor die Kuratoren einzogen, stand das Haus leer.

Getragen wird die Einrichtung vom gemeinnützigen Illustrative-Verein. Das Erdgeschoss und der dritte Stock sollen zu Werkstätten und Gästezimmern ausgebaut werden, so dass Künstler aus der ganzen Welt hier arbeiten und wohnen können. Johanssen hat inzwischen ein dichtes Netz an Kontakten, dennoch stößt er im Internet immer wieder auf Neuentdeckungen. Die Künstler aus der Neocraft-Szene sind eifrige Blogger. Zudem gibt es den Young Illustrator Award, der jedes Jahr im Rahmen der Illustrative vergeben wird. 6000 Nachwuchskünstler bewerben sich jährlich. Wann und wo das Festival dieses Mal stattfinden wird, das steht noch nicht genau fest. Das Direktorenhaus hält die Organisatoren auf Trab. Eine Bibliothek soll es geben, einen Clubraum und ein Café direkt am Kanal. Performances, Lesungen und Diskussionen ebenso. Nachgedacht wird zudem über Kooperationen mit Universitäten, „denn zur zeitgenössischen illustrativen Kunst gibt es so gut wie keine Literatur“, sagt der Galerist. Lange wurde die Illustration belächelt – das ändert sich gerade.

Direktorenhaus, Am Krögel 2, Montag –Sonnabend 11 – 19 Uhr, Olaf Hajeks „Flowerheads“ ist bis 20. Juli zu sehen.

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