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Christa Wolf und Lew Kopelew auf dem Cover von "Sehnsucht nach Menschlichkeit".

© Steidl Verlag

Briefe von Christa Wolf und Lew Kopelew: Deutsch-russische Schriftstellerfreundschaft

"Sehnsucht nach Menschlichkeit": Ein sorgfältig editierter und kommentierter Band dokumentiert den Briefwechsel von Christa Wolf und Lew Kopelew.

Ja, es hat sie gegeben, die deutsch-sowjetische Freundschaft. Eine Freundschaft, die, solange die Sowjetunion und die beiden deutschen Staaten bestanden, sogar drei Pole hatte: in Köln bei Heinrich Böll, in Ostberlin bei Christa und Gerhard Wolf und in Moskau bei Lew und Raissa Kopelew. Für Kopelew, der die Berliner Mauer schon bei der ersten Begegnung 1965 mit Christa Wolf bei Anna Seghers „tragischen Unsinn“ nannte, war der Dreierbund von Anfang an eine ausdrücklich deutsch-russische Freundschaft.

Für Böll und Kopelew, die sich im Krieg noch als Soldaten gegenübergestanden hatten, war das selbstverständlicher als für Christa Wolf, die sich mit „ihrer“ DDR identifizierte, allerdings nicht als „Staatsdichterin“, wie ihr unterstellt wurde, sondern zunehmend als Kritikerin des Regimes, über das sie 1990 an Kopelew schrieb, sie „weine dem alten Regime keine Träne nach“. Was sie alle verband, steht als Titel über dem Briefwechsel von Christa (und Gerhard) Wolf und Lew (und Raissa) Kopelew: „Sehnsucht nach Menschlichkeit“.

Davon besitzen wir schon Kostproben aus der „großen“ Briefauswahl Christa Wolfs bei Suhrkamp, und das Motto könnte genauso gut für den ohne Headline bei Steidl 2011 erschienenen Briefwechsel Kopelews mit Heinrich Böll gelten. Nicht als Phrase, sondern als Ausdruck des seltenen Charakterzugs, der die Freunde einte: Bölls behutsame, Wolfs skrupulöse, Kopelews beherzte Güte, die jeder empfand, der ihnen persönlich begegnete. Die Leser von heute müssen sich an die Briefe halten.

Kopelew verteidigt Christa Wolf gegen Anfeindungen

Gerhard Wolf ist als Mit-Autor nicht genannt, aber darin genauso präsent wie Raissa Orlowa, die vor allem mit Notizen über Begegnungen der beiden Paare und den Tod Heinrich Bölls vertreten ist. Insofern führt die Bezeichnung des Sammelbands in die Irre: Er besteht gut zur Hälfte aus Dokumenten aller Art. Etwa Kopelews Bericht von seinem Besuch der Wolfs am Tag des Mauerfalls, der für ihn „die glorreiche deutsche Revolution vom November 1989“ krönte, Christa Wolfs Totenrede für Kopelew 1997, seinen Essays über den Roman „Kindheitsmuster“ und der Erzählung „Was bleibt“. Es versteht sich, dass Kopelew Christa Wolf gegen die Anfeindungen wegen dieser Erzählung und ihrer angeblichen Regimetreue verteidigt.

Anders als Anna Seghers, die dieses Prädikat eher verdient hätte, war Christa Wolf stets der „moralische Preis“ bewusst, den sie für ihre äußere Loyalität zahlte, wie ein unvollendeter und nicht abgesandter Brief an Raissa Orlowa von 1984 verrät. Dass auch Seghers begann, „ihre Rolle zu bezweifeln, bis in die Träume hinein, die sie in ihrer Krankheit hatte“, ist in Christa Wolfs Briefen nachzulesen – wie alles Weitere in dieser sorgfältig edierten und mustergültig kommentierten Ausgabe.

Christa Wolf und Lew Kopelew: Sehnsucht nach Menschlichkeit. Der Briefwechsel 1969 bis 1997. Herausgegeben v. Tanja Walenski. Steidl, Göttingen 2017. 365 Seiten, 28 €.

Hannes Schwenger

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