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Kultur: Briefmonopol der Post: Blaues Wunder

Groß war das Echo, als der private Dienstleister Pin AG vor Jahresfrist seine druckfrische Briefmarke vorstellte. Erstmals seit 100 Jahren hatte Berlin wieder ein Wertzeichen, das nicht von der öffentlichen Post stammte.

Groß war das Echo, als der private Dienstleister Pin AG vor Jahresfrist seine druckfrische Briefmarke vorstellte. Erstmals seit 100 Jahren hatte Berlin wieder ein Wertzeichen, das nicht von der öffentlichen Post stammte. Die Pin AG stellte keck in Aussicht, dass sie diesem ersten Streich einen zweiten folgen lassen und in Bälde blaue Briefkästen aufstellen werde. Von der blauen Post war die Rede, von einer Post, die zuerst für Firmen und später für alle da sei, von einer Post auch, die schneller, besser und vor allem auch billiger sei als die Deutsche Post AG, die gelbe Post.

Heute gibts die blaue Briefmarke zwar noch immer, doch eigentlich redet kaum mehr einer von ihr. Im Gegenteil. Sogar Kevin Steele, Vorstand in der Pin AG, kommt um die Feststellung nicht herum, dass sie im Alltag kaum eine Rolle spielt. Rein gar nichts geworden ist gar aus der zweiten Idee: Nach wie vor steht kein einziger der blauen Briefkästen in der Stadt, wie Steele, ungern zwar, auch noch bestätigt.

Die Erklärung dafür hat der Vorstand auch gleich zur Hand. "Wir können die Briefkästen gar nicht aufstellen", sagt er und erinnert an die Auflagen, unter denen die Pin AG tätig ist. Solange das Briefmonopol für die gelbe Post noch gilt, dürfen Private nämlich nur tätig werden, wenn sie einen so genannten höherwertigen Service erbringen, zum Beispiel also besonders schnell arbeiten. Für den Alltag der blauen Post heißt dies: Die Briefe dürfen erst ab 17 Uhr angenommen werden und müssen am nächsten Tag bis spätestens um 12 Uhr mittags beim Empfänger in Berlin und zum Teil auch in Brandenburg sein.

"Man kann nicht bei jedem Kasten jemanden hinstellen und kontrollieren, dass kein Brief früher eingeworfen wird", sagt Steele. Und Verstöße gegen die Auflagen könne man ja nicht riskieren. Denn die Deutsche Post AG beobachte die Privaten mit Argusaugen und würde wohl umgehend klagen. Warum die Pin AG dann von blauen Briefkästen gesprochen und Hoffnungen geweckt hat? "Wir dachten, es gebe einen Weg."

Ohne Briefkästen keine privaten Kunden: Nach wie vor lebt die Pin AG von Firmen,und sie tut dies sogar mit noch größerer Konsequenz als beim Start. Arbeitete die blaue Post vor einem Jahr noch für Betriebe, die am Tag 50 Sendungen aufgaben, so liegt die Richtgröße heute bei täglich 200 Sendungen. Sonst lohnt es sich kaum, vorbeizufahren und die Post abzuholen. "Wir haben im Februar 70 Firmen - immerhin 40 Prozent unserer Kundschaft - gekündigt", blickt Steele zurück und ergänzt, "dass wir den Ausfall mit zwei neuen Großkunden bereits wieder wettgemacht haben." Heute fahren die 360 Mitarbeiter der blauen Post für knapp 200 Kunden. Bis 2003 sollen es 500 werden, und sie sollen dann für 300 bis 350 Kunden unterweg sein.

Als Wertzeichen dient heute übrigens meist ein simpler Aufdruck, der automatisch auf den Brief aufgebracht und automatisch abgerechnet werden kann - und eben nicht die Briefmarke. Vielleicht winken wenigstens ihr bessere Zeiten. Die Pin AG will nämlich die 25 Büros, von denen ihre Boten Tag für Tag ausschwärmen, zu kleinen Postschaltern aufwerten. Jeder kann dann herkommen, Marken kaufen, seine Briefe frankieren und die Post direkt abgeben. Natürlich erst nach 17 Uhr.

Stephan Künzi

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