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Briefwechsel zwischen Andersch und Frisch: Das Scheitern einer Dichterfreundschaft

Entfremdung in Berzona: Der Briefwechsel zwischen Alfred Andersch und Max Frisch dokumentiert das Scheitern einer Dichterfreundschaft.

Dichterfreundschaften sind krisenanfällige Gebilde. Das überschwängliche Bekenntnis zur schönen Seelenverwandtschaft kann bei kleinsten Anlässen umschlagen in finstere Verwünschungen. Da bilden Alfred Andersch und Max Frisch keine Ausnahme. 15 Jahre lang lebten sie im Tessiner Bergnest Berzona fast Tür an Tür und pflegten eine zwar nicht innige, aber verlässliche Arbeitsfreundschaft. Im Winter 1971/72 geriet diese Arbeitsbeziehung indes in eine schwere Krise, als Frisch seinem drei Jahre jüngeren Nachbarn ein eher frostiges Porträt in seinem „Tagebuch 1966–1971“ widmete. Auch in Frischs soeben erschienenem „Berliner Journal“ gelten ihm einige nicht besonders freundliche Bemerkungen.

Frisch war der Überzeugung, er habe darin nur seine eigenen Beziehungsschwierigkeiten und Neurosen benannt, während Andersch das Porträt so las, wie es auch unbefangene Leser dechiffrieren mussten: als Skizze einer Begegnung zwischen zwei älteren Männern, die sich jenseits ihrer beruflichen Routinen wenig zu sagen hatten. Andersch fühlte sich zutiefst verletzt. Auch, als sich später die Umrisse einer „zweiten Freundschaft“ abzeichneten und Frisch eine bewegende Laudatio zum 65. Geburtstag des fremd gewordenen Nachbarn hielt, ist diese Wunde nie verheilt.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Andersch am 4. Februar hat Diogenes die Korrespondenz zwischen den zwei so gegensätzlichen Klassikern der Nachkriegsliteratur in einer von Jan Bürger kommentierten Briefausgabe veröffentlicht. Es ist das Dokument eines fatalen Missverständnisses. Der Briefwechsel setzt 1957 ein, nachdem sich Andersch und Frisch im Zürcher Café Odeon kennengelernt hatten. Andersch, damals einflussreicher Redakteur im Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart, bittet den berühmten Kollegen um einen Ausschnitt aus dem gerade abgeschlossenen Roman „Homo Faber“. Andersch selbst hat zu diesem Zeitpunkt eine „neue Desertion“, nämlich seinen Abgang aus dem verhassten Adenauerdeutschland schon vorbereitet.

„Die Freiheit lebt in der Wildnis“, hatte er 1952 in dem autobiografischen Bericht „Die Kirschen der Freiheit“ verkündet, der – ein Novum in der deutschen Literatur – die Desertion als radikalen Akt der Selbstbestimmung wider die Unrechtsherrschaft postulierte. 1956 ließ er dann den von ihm geförderten Arno Schmidt wissen: „Ich habe für Deutschland nur noch Verachtung und Hass übrig, und ich hoffe, dass es mir in diesem Leben gelingt, einmal nichts mehr mit Deutschland zu tun haben zu müssen. Es ist schon schlimm genug, dass man gezwungen ist, in ihrer Sprache zu schreiben.“

Noch bevor mit „Sansibar oder der letzte Grund“ sein Ruhm einsetzte, hatte sich Andersch im Juni 1957 entschlossen, im Korbflechterdorf Berzona „ein Tessiner Rustico-Haus mit vier Zimmern“ zu kaufen und sich endlich in einem Refugium jenseits der deutschen Grenzen einzurichten. Als die Anderschs 1963 mehrere Male nach Rom reisen, um Max Frisch mit seiner neuen Liebe Marianne Oellers zu besuchen, gehen die Kollegen zum Du über, und Andersch animiert Frisch erfolgreich, sich ebenfalls in Berzona ein Domizil zu suchen.

Bald wird die Nachbarschaft 1964 mit Frischs Hauskauf in Berzona besiegelt; sichtbar wird indes auch bald das gegensätzliche intellektuelle Temperament der beiden. Frisch, der in „Mein Name sei Gantenbein“ die Geschichten „anprobiert wie Kleider“, ist auf dem Weg, die traditionelle Romanform hinter sich zu lassen. Andersch dagegen verbindet seinen ästhetischen Konstruktivismus mit einer radikalen Ästhetik des Widerstands und hält die traditionelle Romanform für unverzichtbar. Seine rigide Arbeitsdisziplin und sein politisches Pathos sind dem weltläufigen Skeptiker Frisch fremd.

Auch kann Frisch nicht verstehen, dass Andersch zwar die restaurative Bundesrepublik mit den schärfsten Attacken bedenkt, die konservative Schweiz aber verschont. So formuliert er in seinem Andersch-Porträt die verhängnisvollen Sätze, die zum vorübergehenden Bruch der Freundschaft führten: „Er hat etwas Striktes, das Ironie kaum zulässt; auch etwas Gerechtes, wenn ich mich manchmal ereifere. Er schätzt die Schweiz; sie beschäftigt ihn nicht.“

Dies musste Andersch, der zum Schweizer Staatsbürger geworden war, als Affront empfinden. In einem Brief an Frisch formuliert er im Dezember 1971 sein Unverständnis: „Jeder Deiner ach so höflichen Sätze enthält eine falsche Nachricht.“ Die drei Anläufe, die Frisch daraufhin unternahm, um den beleidigten Nachbarn versöhnlicher zu stimmen, scheiterten. Auch der Umstand, dass er die prekären Passagen aus dem Manuskript des „Tagebuchs 1966–1971“ strich, vermochte Andersch nicht milde zu stimmen.

Erst bei Frischs Festrede zu seinem 65. Geburtstag in Zürich zeigte sich Andersch wieder gerührt. Frisch würdigte den „politischen Zeitgenossen“ Andersch, der als Fahnenflüchtiger der deutschen Wehrmacht 1944 sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte und später die existenzielle Entscheidung wider die politische Unrechtsherrschaft zum Zentralmotiv seiner Romane erhob. Da war die Nierenkrankheit Anderschs schon weit fortgeschritten. Nur unter Schmerzen konnte er seine letzte Erzählung, „Der Vater eines Mörders“ vollenden, bevor er am 21. Februar 1980 in Berzona starb.

Die beiden fanden nie zu einem gemeinsamen Projekt. Immerhin lektorierte man sich gegenseitig. So dokumentiert der vorzüglich kommentierte Briefband auch Frischs Expertise zu Anderschs Roman „Efraim“ (1967), der erste Roman der deutschen Nachkriegsliteratur, der intensiv das deutsch-jüdische Verhältnis thematisierte. „Man lebt hier doch ziemlich seitab“, schrieb Andersch einmal an Helmut Heißenbüttel, „fast ausschließlich damit befasst, seinen Roman und seinen Garten von Unkraut zu säubern.“ Das Unkraut, das die Freundschaft von Andersch und Frisch überwuchert hatte, verging nicht. Michael Braun

Alfred Andersch/Max Frisch: Briefwechsel. Hrsg. von Jan Bürger. Diogenes-Verlag, Zürich 2014. 176 Seiten, 17, 90 €.

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