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Marcel Reich-Ranicki.

© dpa

Briefwechsel zwischen Reich-Ranicki und Rühmkorf: Alles wieder in Butter? Nein!

Von herzlichen Schmusetönen bis zur aufgelösten Freundschaft: Der Briefwechsel zwischen Kritiker Marcel Reich-Ranicki und Dichter Peter Rühmkorf ließ nichts aus. Nun gibt es die hitzige Korrespondenz in einem Band.

Wahrscheinlich hat Stephan Opitz recht, wenn er im Nachwort zum Briefwechsel von Peter Rühmkorf und Marcel Reich-Ranicki schreibt: „Freunde waren sie nicht.“ Obwohl einiges dagegen spricht: Über vier Jahrzehnte entstand eine Korrespondenz mit knapp 300 Briefen, Postkarten und Telegrammen, die sich – von einem vierjährigen Zerwürfnis mit beidseitigem Schweigen abgesehen – in Grußformeln und Lobreden von größter Herzlichkeit ergehen. Gleich der erste Brief des Kritikers vom 9. Juni 1967 vereinnahmt den Autor als „Mein Lieber“ und steigert sich beim vierten zum „sehr lieben Herrn Rühmkorf“, um sich in Nr. 229 vom 7. Februar 1989 erst- und einmalig zum „lieben Peter“ aufzugipfeln.

Der wachsame Dichter, obwohl auch er mit „mein sehr lieber Herr Ranicki“ und „herzlichsten Grüßen“ repliziert, vergleicht ihr Verhältnis „normalhin“ eher mit Brechts Herrn Puntila und Knecht Matti, „wobei Matti auch noch den Part des Betrunkenen übernimmt“. Da muss etwas dran gewesen sein, wenn der „liebe Peter“ in Reich-Ranickis Autobiografie nur sehr beiläufig als einer von neun Autoren erwähnt wird, die „eher zu den Sonntagsjägern der Kritik gehören“, die seinem Feuilleton allerdings „einigen Glanz“ verliehen hätten; darunter Heinrich Böll, Siegfried Lenz und Golo Mann. „Sie alle“, erinnert sich Reich-Ranicki, „machten mit. Ich habe es, trotz einiger Gefälligkeitskritiken, die ich nicht verhindern konnte, nie bedauert.“

Peter Rühmkorf traf 1979 der Bannstrahl

Das klingt nicht nach dicker Freundschaft, die zwischen Autor und Kritiker wohl auch standeswidrig gewesen wäre. Tatsächlich trifft auch Rühmkorf 1979 einmal der Bannstrahl, sein Beitrag über Karl Krolow sei „meisterhaft geschrieben, Sie haben sich große Mühe gegeben, man merkt es. Ich danke Ihnen, ich freue mich für Krolow. Aber Ihre Kritik ist das klassische Beispiel jener Gefälligkeitsrezensionen, die wir nicht haben wollen. Bitte nie wieder! Und bitte keine brieflichen Rechtfertigungen!“ (Die trotzdem nicht ausbleiben, mit einem Schlenker: Die größte Gefälligkeit, die er einem Autor antun könne, sei, ihn nicht zu besprechen.) Meistens aber heißt es statt „Bitte nie wieder“ mit Bedauern, er lasse „die Leser dieser Zeitung vergeblich nach Beiträgen aus Ihrer Feder lechzen.“

Peter Rühmkorf.
Peter Rühmkorf.

© dpa

Denn Peter Rühmkorf hat von Anfang an abgelehnt, sich für eine Pauschale als fester Mitarbeiter zu verpflichten und nervt Reich-Ranicki mit seiner Angewohnheit, Beiträge anzukündigen, aber nicht zu liefern. Da hilft weder Zuckerbrot (Honorar-Zulagen) noch die Peitsche der Drohung, „dass meine Wertschätzung drauf und dran ist, immer kleiner zu werden und ich fürchte, auch die Sympathie meiner Gattin schwinden wird. Womit kann ich Ihnen sonst noch drohen? Ich werde mich bei Eva beschweren. Und vielleicht noch bei einer anderen Dame, deren Namen ich hier nicht nenne.“

Döblin blieb der Running Gag ihrer Korrespondenz

Dennoch könnten am Ende Rühmkorfs Kritiken und Beiträge zur „Frankfurter Anthologie“ ein ganzes Buch füllen. Nur sein nie eingelöstes Versprechen, Döblins Roman „Babylonische Wandrung“ der Vergessenheit zu entreißen, bleibt der Running Gag dieser Korrespondenz. Schreibt Rühmkorf, er genieße „die Früchte Ihrer Zuneigung, reflektiere sie freilich auch als Produkt erstmaliger Kollaboration mit einem konservativen Meinungsträger (womit nicht Sie gemeint sind)“, repliziert Reich-Ranicki, „dass Sie mich und die Zeitung, für die ich tätig bin, doch ein wenig verwechseln.“

Buchcover zu "Der Briefwechsel" von Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf.
Buchcover zu "Der Briefwechsel" von Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf.

© Wallstein Verlag

Das ist das Florett, aber im Ernstfall verstehen sich beide auch auf den Säbel: Totales Schweigen herrscht, nachdem Rühmkorf wegen Reich-Ranickis Attacke auf Günter Grass und dessen Roman „Ein weites Feld“ ihm 1995 die Freundschaft aufkündigt: „Nein, das war kein sogenannter ,Verriss’ mehr (...), das war das autoritäre Niederschreien eines wichtigen Buches“ und „für mich das absolute Nonplusgehtnichtmehr.“ Der Brief bleibt unbeantwortet, bis Rühmkorf sich 1999 zurückmeldet: Er habe vergeblich gehofft, dass sich die Meinungsverschiedenheit „auf dem literarischen Paukboden ausfechten“ ließe, bedaure aber inzwischen, „dass eine jahrzehntelange Befreundung so heillos in die Binsen gegangen“ sei.

Zum Frieden ist es nie zu spät

Auch darauf erhält er keine Antwort, bis er ein Jahr später dem Grollenden ein Gedicht zum 80. Geburtstag widmet: Der Fehde sei genug, zum Frieden nie zu spät. Da stimmt Reich-Ranicki endlich zu, nur um nachzusetzen: „Und was nun? Jetzt ist alles wieder in Butter? Nein, mein Lieber, so geht das nicht.“ Er verlangt Satisfaktion, und Rühmkorf liefert das Verlangte : „Nicht dass Sie zurücknehmen, was Sie damals verzapft haben. Nur sollten Sie jetzt etwas über meine Arbeit schreiben – nicht unbedingt liebevoll, doch freundlich und respektvoll.“ So geschieht es in der „FAZ“ vom 21.10.2000 und wird sogleich mit der Forderung quittiert, die Versöhnung werde erst „komplett und für die Menschheit sichtbar sein, wenn in der ,Frankfurter Anthologie’ ein Beitrag aus Ihrer Feder erscheint.“

Das ist gesagt und getan mit einer Exegese von Walter Mehrings Gedicht „Denn: Aller Anfang ist schwer“, von Rühmkorf im Begleitbrief kommentiert: „Denn aller (Neu-)Anfang ist schwer.“ Und bleibt schleppend: In den folgenden neun Jahren bis zu Rühmkorfs Tod folgen nur noch 29 (von insgesamt 287) Briefe, der letzte vor Rühmkorfs schwerer Erkrankung 2006. Auch dafür hat der Herausgeber eine Erklärung: Beide hätten endlich verstanden, was sie einander zumuten sollten und was nicht.

Zum Beispiel Rühmkorfs letztes Wort zu der Zeitung, für die sie beide tätig waren. Einem Freund, der über sein Joch als sozialdemokratischer Redenschreiber für einen christdemokatischen Politiker klagte, beschied er: „Hör auf zu jammern. Wir sind beide nur Arbeiter und können uns unsere Fabrik nicht ausuchen. Ich muss auch für die ,FAZ’ schreiben.“

Marcel Reich-Ranicki/Peter Rühmkorf: Der Briefwechsel. Hrsg. von Christoph Hilse und Stephan Opitz. Wallstein, Göttingen 2015. 335 Seiten, 22,90 €.

Hannes Schwenger

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