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Fassbaender

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Brigitte Fassbaender: Die wagemutige Sängerin

Sie war stets einzig in ihrem lebenskräftigen, funkelnden Burgunder-Timbre, unverwechselbar in der glasklaren, sinnlich-stimmhaften Diktion, nicht zu bändigen in ihrer Gestaltungslust und -kraft: Brigitte Fassbaender zum 70. Geburtstag.

Als Brigitte Fassbaender ihre Sängerinnenkarriere 1994 beendete, im zarten Alter von Mitte 50, tat sie dies mit der schaurig-schönen Begründung, sie wolle nicht mehr, dass die Menschen so tief in sie hineinschauten. Etwas zu verbergen, sei ihr singend mit den Jahren immer schlechter gelungen. Als würde der eigene Körper gläsern, als nutzte sich die professionelle Drachenhaut mit den Jahren ab. Schon die blutjunge Mezzosopranistin aber – 1939 in Berlin geboren und am Nürnberger Konservatorium beim Vater, dem Bariton Willi Domgraf-Fassbaender ausgebildet – kannte keine der üblichen Posen, hinter denen sich wohlfeil Musik treiben ließ.

In der Ära der Fischer-Dieskaus, Preys und Schreiers, neben einer Christa Ludwig oder Janet Baker blieb Fassbaender Ausnahmeerscheinung: einzig in ihrem lebenskräftigen, funkelnden Burgunder-Timbre, unverwechselbar in der glasklaren, sinnlich-stimmhaften Diktion, nicht zu bändigen in ihrer Gestaltungslust und -kraft. Dabei ist sie immer den Weg des Bekenntnisses gegangen, auf der Opernbühne wie im Lied. Als Cherubino, Dorabella und Carmen, als „Werther“-Charlotte, als Orlowsky in der „Fledermaus“, als Alban Bergs Geschwitz, als Strauss’ Octavian und Klytemnästra. Und natürlich in Schuberts großen Liederzyklen, der „Schönen Müllerin“, der „Winterreise“ – die sie mit hellem Intellekt von allen männerbündischen Rezeptionslasten befreite.

Ein Geschöpf der Plattenfirmen und Agenturen war sie nie – mit allen Vor- und Nachteilen. Kein Karajan, kein Walter Legge bemächtigte sich ihrer. Auf behütete Jahre an der Bayerischen Staatsoper und legendäre Arbeiten unter Regisseuren wie Günter Rennert oder Otto Schenk folgten Engagements in der ganzen Welt: New York, Mailand, Wien. Fassbaenders „Wozzeck“-Marie an der Deutschen Oper Berlin blieb einer der raren Ausflüge ins dramatischere Fach. Ihre Brangäne in Carlos Kleibers „Tristan“-Aufnahme aber katapultierte die Partie aus dem üblichen Ammen-Schatten in ein brennendes, versengendes Licht.

Dieser Wagemut hat die Interpretin auch angreifbar gemacht, das ging nicht selten auf Kosten des Schöngesangs. Die Callas, heißt es bei Ingeborg Bachmann, habe Jahrhunderte „durchhörbar“ gemacht; Fassbaender horcht in den Menschen hinein, bringt ihn über die Kunst zu sich selbst. Und das gilt auch jenseits des Gesangs: Über 50 eigene Inszenierungen hat sie seit den Neunzigern zwischen Leeds und Meiningen, Amsterdam und St. Gallen gemacht, für zwei Jahre ist sie Braunschweiger Operndirektorin, seit 1999 Intendantin in Innsbruck, außerdem eine begehrte Gesangspädagogin und Festivalleiterin. Die Bühnenkunst, sagt diese ungewöhnliche Vita, hört beim Singen noch lange nicht auf.

Die Branche misstraut solcher Vielfalt gern. Fassbaenders Theaterbegriff mag nicht „politisch“ genug sein, um Wind zu machen – der Tiroler Landeshauptstadt hat er ein gesundes Haus mit einem jungen, bestens umhegten Sängerensemble beschert. Eine Rarität. Heute feiert Brigitte Fassbaender ihren 70. Geburtstag, „in völliger Abgeschiedenheit“, so wie es sich für einen scheuen Rampenlichtmenschen gehört. Am 27. September steht ihr mit Berlioz’ „Les Troyens“ die nächste Premiere bevor. Ein schweres Stück, schon weil es in der Kunst nichts bloß Leichtes gibt. 

Christine Lemke-Matwey

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