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Museumsdirektorin Brigitte Rieger-Jähner.

© dpa

Brigitte Rieger-Jähner verlässt Museum Junge Kunst: Provinz gibt’s nur im Kopf

Direktorin Brigitte Rieger-Jähner machte das Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder) zur Topadresse. Nun geht sie - und lässt das Haus in der Schwebe.

Frankfurt an der Oder empfängt den Besucher, wie man es aus Andreas Dresens Film „Halbe Treppe“ kennt: bleigrauer Himmel, zu große Einkaufszentren an zu breiten Straßen. Wetterfeste Biertrinker umlagern Parkbänke. Dann das Dienstzimmer der Museumsdirektorin Brigitte Rieger-Jähner, in einem vorbildlich sanierten klassizistischen Wohnhaus nahe der Oder: ein riesiger alter Kachelofen, Bücher und Akten, zwei Gemälde an der Wand, von A. R. Penck und Willy Wolff. Wärme und Ruhe. Eine Gegenwelt.

1975 kam die Kunsthistorikerin direkt vom Studium an der Humboldt-Universität zur Galerie Junge Kunst nach Frankfurt / Oder. Nicht ganz freiwillig, hatte es doch Gerüchte gegeben, sie wolle das Land verlassen, die ihre Wunschstelle in unerreichbare Ferne rückten. Ihr Vater, der Kunsthistoriker und Verleger Horst Jähner, riet zum Karrierestart in der Provinz. Entgegen allen Erwartungen ist Brigitte Rieger-Jähner, die Bürgerliche, im proletarischen Frankfurt geblieben. Im August 1990 wurde sie Direktorin der Galerie, die sie 1994 in Museum Junge Kunst umbenannte. Zu oft hatten Schnäppchenjäger aus den alten Bundesländern zuvor gefragt, ob man die Bilder der Galerie auch kaufen könne.

Mit Brigitte Rieger-Jähner endet eine Epoche

Nun geht sie in Pension und bleibt der Stadt weiterhin treu. Provinz? „Die gibt es nur im Kopf.“ Mit Brigitte Rieger-Jähner endet eine Epoche, die im Transformationsprozess der deutschen Wiedervereinigung Wunder möglich machte, wie die vielen tatkräftigen Frauen, die in der ostdeutschen Peripherie bedeutende Kunstmuseen geleitet haben: von Gera und Altenburg bis Schwerin und Rostock. Frankfurt / Oder aber birgt einen besonderen Schatz, hier wurde ostdeutsche Kunst ausschließlich und lückenlos zusammengetragen. Auch wenn sich das Profil des Frankfurter Museums seit 1965 entwickelte, ist es Rieger-Jähners Verdienst, den Sammlungsauftrag des Museums 1990 vom Kopf auf die Füße gestellt zu haben. Die Bezeichnung junge Kunst, bis dahin auf das historisch „junge“ Proletariat gemünzt, lässt sich nun auf Sammlung und Institution selbst beziehen, die im nächsten Jahr 50 werden. Kein Alter für ein Kunstmuseum.

Nach Jahrzehnten ideologischer, doch durchaus kenntnisreicher Ankaufspolitik vor allem durch den Gründungsdirektor Karl-Heinz Maetzke war 1990 eine Neuausrichtung fällig. Rieger-Jähners Stunde. Erworben hat sie seitdem Künstler, die biografisch mit dem Territorium der ehemaligen DDR verbunden sind; ausgestellt hingegen wurden alle, die für die Frankfurter interessant sein könnten, von Rembrandt über Max Ernst bis zu Jochen Gerz und Tremezza von Brentano.

Drei bis vier Sonderausstellungen pro Jahr

Für Überraschungen sind die vielen Ausstellungen, die Brigitte Rieger-Jähner und ihr Stellvertreter Armin Hauer in die Gewölbehalle des spätgotischen Rathauses, in die Studioatmosphäre des Packhofs oder auch in die Beletage einer mittlerweile von den Stadtvätern verkauften Gründerzeitvilla hineingezaubert haben, immer gut gewesen. Überregionale Beachtung gewann die Ausstellungsreihe zu Künstlern, die die DDR vorzeitig verlassen mussten: von Hans-Hendrik Grimmling über Cornelia Schleime bis zu Hans Scheib. Kleine, heilsame Kulturschocks: Penck brachte zur Eröffnung Musikerfreunde mit und legte los, dass den Frankfurtern Hören und Sehen verging.

Lutz Friedel hat Rieger-Jähner nicht nur im Museum präsentiert, sondern mit ihm in diesem Frühjahr auch die Eröffnungsschau im Potsdamer Landtagsschloss bestritten. Die Ausstellungsmacherin interessieren künstlerische Seherfahrungen, die durch den abrupten Systemwechsel in Bewegung gerieten: „Peter Herrmann im Osten: brillant. Herrmann im Westen: auch brillant, aber anders – farbiger, freier, größere Formate.“

Drei bis vier Sonderausstellungen haben Rieger-Jähner und Hauer pro Jahr gestemmt, auch nachdem die Stadt den Personalstand zwischen 1989 und 1997 von zwölf auf zwei Wissenschaftler zusammenstrich. Seither müssen die Direktorin und der Vize alles selber machen: von der Drittmittelakquise bis zu den Führungen. 23 waren es für Rieger-Jähner allein in diesem Sommer in der Ausstellung mit Dalí-Werken aus der Bamberger Sammlung Richard H. Mayer. Knochenarbeit, die sie seit ihrer Studienzeit gewöhnt ist. Der Museumsfrau leuchten die Augen, wenn sie von den Kindergartenknirpsen erzählt, denen sie in ihrer Ausstellung „Totentanz“ 2011 letzte Fragen von Leben und Kunst nahebringen konnte: „Museen sind Orte kultureller Bildung – das muss früh beginnen.“

Bis es einen Nachfolger gibt, befindet sich das Haus in der Schwebe

Die scheidende Direktorin hat ihr Haus überregional verankert – trotz schwieriger Umstände, zu denen das fortgesetzte Desinteresse des Landes Brandenburg an einer Übernahme als Landesmuseum gehört und seit 2002 die Fusion mit dem stadt- und regionalhistorischen Museum Viadrina. Künftig will sie sich als SPD-Mitglied und sachkundige Bürgerin im Kulturausschuss der Stadt einmischen. „Ich wünsche mir eine Stadt, in der ich mich überall wohlfühle. Frankfurt könnte anders aussehen.“

Und was sollte der Nachfolger mitbringen? „Solange er oder sie keine zusätzlichen öffentlichen Mittel beansprucht, kann man hier machen, was man will. Der Kandidat muss jung und ehrgeizig sein – und eine gute Ausbildung haben. Dann ist es zu schaffen.“ Die Neuausschreibung der Stelle ist erklärte Absicht der Stadtverordneten für 2015. So lange befindet sich das bislang gut bestellte Haus in der Schwebe.

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