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Kultur: Bring die Alte um

Eine schrecklich nette Familie, diese Smiths.Vater Ansel sitzt den ganzen Tag vor der Glotze und vernichtet mit Dosenbier seine letzten fünf Gehirnzellen.

Eine schrecklich nette Familie, diese Smiths.Vater Ansel sitzt den ganzen Tag vor der Glotze und vernichtet mit Dosenbier seine letzten fünf Gehirnzellen.Stiefmutter Sharla geht fremd mit dem neuen Lover von Ansels Ex-Frau.Und Sohn Chris hat ein richtiges Problem: Seine leibliche Mutter hat ihm Drogen geklaut, was den kleinkriminellen Dealer bei seinen brutalen Gläubigern den Kopf kosten kann.Um diesen aus der Schlinge zu ziehen, schmiedet Chris einen Mordplan.Die Mutter soll getötet werden, damit seine Schwester Dotti deren Lebensversicherung abstauben kann.In der Hoffnung auf das große Geld bestellen Vater und Sohn den Killer Joe Cooper, der als Anzahlung die Jungfräulichkeit der verstörten Dotti einfordert.

"Killer Joe", das Debüt-Theaterstück des US-amerikanischen Schauspielers Tracy Letts, wurde 1993 in Chicago uraufgeführt.Ein Jahr später erhielt es den ersten Preis des Theaterfestivals von Edinburgh, Aufführungen in New York und London folgten.Doch die Erfolgsgeschichte kann nicht über die Schwächen des Textes hinwegtäuschen.Letts interessiert sich nur halbherzig für seine Figuren, benutzt hauptsächlich deren Verkommenheit, um einen Thriller aus dem Milieu der Underdogs zu erzählen.Um so erfreulicher ist deshalb die deutsche Erstaufführung von "Killer Joe" in der Berliner Vaganten-Bühne, bei der Regisseur Folke Braband aus der mittelmäßigen Vorlage ein starkes Stück destillierte.

Hawaiiposter, Riesenkühlschrank, Stehklo - Tom Presting hat ein dreckiges Ambiente eingerichtet, in dem permanent die Glotze läuft oder Country-Gejaule von Hank Williams.In dieser Umgebung setzt Braband die Figuren schmerzhaft realistisch in Szene.

Wenn Dirk Dobbrow als debiler Familienvater Ansel seine Unterlippe nach vorne schiebt, sieht er unschlagbar doof aus, selbst die Läuse in seinem fettigen Haar sind schlauer.Seine zweite Frau Sharla erinnert mit rosa Top, mintfarbenem Rock und silberner Handtasche zwar optisch an eine dunkelhäutige Barbie.Doch wenn Adisat Semenitsch ihren Mund aufmacht, wird sie zur Furie.Ganz anders die von Alexandra Leitenbauer gespielte schlafwandelnde Dotti: Sie sehnt sich nach reiner Liebe, doch Zärtlichkeit bekommt sie nur vom kühl-brutalen Fummler Joe.Robert Seethaler spielt den Killer als eine Mischung aus Heiner Lauterbach und Frankensteins Monster.Er schenkt Dotti zwar eine rote Blume, nicht aber das große Glück.

Sie flieht mit ihrem Bruder.Denn Chris will raus aus dem Schlamassel: "Mein eigener Herr sein.Arbeiten, wann ich will.Fernsehen.Joints rauchen.Mehr will ich nicht." Sein Lieblingswort ist "Okay".Frank Brückner spreizt dieses Wort wie seine Finger.Doch selbst steife Macho-Drohgebärden können nicht verbergen, daß er längst nicht mehr glaubt, daß überhaupt irgendwas "okay" ist.Der Neuanfang mißlingt.Den Killer, den er rief, wird er nicht mehr los.Am Schluß gibt es mehr als eine Leiche und alle Hoffnungen zu begraben.

Vaganten-Bühne, Kantstraße 12a, wieder vom 24.bis 27.März, jeweils 20 Uhr

ANDREAS KRIEGER

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