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Kultur: "Britta": Golden Girls

Die Keyboarderin fehlt. Sie studiert Puppenspiel und tritt an diesem Abend mit ihrem hölzernen Ensemble in Erfurt auf.

Die Keyboarderin fehlt. Sie studiert Puppenspiel und tritt an diesem Abend mit ihrem hölzernen Ensemble in Erfurt auf. Deshalb wird das Keyboard-Intro von der Gitarristin gesummt. Dann setzt das Schlagzeug ein. Die Leadgitarre zwitschert. Und die Gitarristin singt: "Ein Tisch ein Stuhl - daheim/ So wie heut solls immer sein / Der Wind pfeift durchs Katzennetz / Und hat ein Lied erzählt / Ein Lied ein Traum ich glaub es kaum." Den Bass muss man sich dazudenken. Die Bassistin macht nämlich nächste Woche ihr Germanistik-Examen und sitzt zuhause über den Büchern. Zwei Gitarren und ein Schlagzeug: So klingt der Song "Rock me in crazy Berlin" - eine wehmütige Hymne aus der Neuen Mitte - auch nicht schlecht. Scheppernd, zerbrechlich, rauh.

Das hier ist ja auch keine reguläre Probe. Das hier ist eher die Imitation einer Probe, ein Durchprobieren von Rocker-Posen für den Fotografen. Und die Fünffrauenband "Britta" beherrscht das Posen perfekt. Leadgitarristin Christiane Rösinger legt ihren Kopf in den Nacken, wenn sie ihre Strophen in das Standmikro singt. Fast wie Liam Gallagher. Rhytmusgitarristin Barbara Wagner hockt in sich versunken auf einem Instrumentenkoffer. Und Schlagzeugerin Britta Neander bearbeitet stoisch, sich nur gelegentlich ein rhytmisches Nicken erlaubend, ihre Drums. Getrunken wird Dosenbier. Der Probenraum, im Keller einer ehemaligen Diskothek am Kreuzberger Oranienplatz gelegen, ist ein höchst unwirtlicher Ort. Auf dem Fußboden liegen Kippen, an der Wand hängen "Hustler"-Plakate von einer Metal-Band, die hier auch noch probt. Der Teppichboden ist durchnässt. "Der Hausmeister sagt, das kommt von den Tunnelarbeiten am Potsdamer Platz", erzählt Rösinger, "seitdem steigt hier das Grundwasser".

Britta - ihre Mitglieder sind zwichen 23 und 46 Jahre alt - ist eine Post-Riot-Girls-Band. Riot-Girls, das waren Bands wie Hole oder Sleater-Kinney, die im Zorn ihre Verstärker bis zum Anschlag aufdrehten. Bei Britta ist der Zorn in Melancholie umgeschlagen, statt geradlinig draufloszudröhnen schlagen ihre Songs lieber ironische Haken. Feminismus finden die Britta-Frauen okay, aber eine Frauenformation sind sie eher aus Zufall, "weil uns halt immer bloß Frauen angesprochen haben" (Rösinger). Den Titel ihres neuen, zweiten Albums "Kollektion Gold" könnte man für anmaßend halten. Aber das in einem goldenen Cover verpackte Werk enthält tatsächlich Preziosen. Seit dem vor zwei Jahren erschienenen Debüt "Irgendwas ist immer" ist die Gruppe - Julie Miess spielt Bass, Rike Schuberty von "Contriva" Keyboards - vom Trio zum Quintett gewachsen. Jetzt traut sie sich sogar, richtige Instrumentals zu spielen.

Brittas schlauer Großstadtpop montiert schon mal den "Ännchen von Tharau"-Mitschnitt eines Männergesangsvereins zwischen Postrock-Gitarrenschleifen, und die zumeist von der "taz"-, "FAZ"- und "Spex"-Autorin Rösinger verfassten Texte gehören ohnehin zu den momentan besten Pop-Gesängen deutscher Sprache. Da gibt es Kurzgeschichten aus dem Szene-Nachtleben - "All die vollen Aschenbecher / Und die ungelesenen Flyer / Und die umgeflogenen Flaschen / Und wir suchen unsere Taschen" -, bittersüße Liebeserklärungen - "In dein liebes Mondgesicht / Könnt ich ganz versinken" - und Zeilen, die die Gemeinplätze der Generation I-mac zum Tanzen bringen: "Seit ich im Netz bin hab ick mir verändert."

Die Vorgeschichte von Britta reicht bis in die achtziger Jahre zurück, mindestens. Damals hatte Rösinger, aus einem badischen Dorf frisch in Kreuzberg eingetroffen, die "Lassie Singers" gegründet, die mit Liedern wie "Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht" beinahe den Sprung zu nationalen Popstars geschafft hätten. 1998, nach vier Alben, war Schluss, weil Mitstreiterin Almut Klotz nach Hamburg zog. Zum Abschied kauften Rösinger und Klotz die Rechte an ihren Aufnahmen zurück, gründeten das Label "Flittchen Records" und veröffentlichten eine "Best"- und eine "Rest of Lassie Singers"-CD. Das Label versteht sich als eine Art pop-feministischer Plattform. "Die musizierenden Jungs haben ihr boynet, wir versuchen, unser Netzwerk aufzubauen", sagt Rösinger. Und Neander, die schon bei "Ton Steine Scherben" trommelte, ergänzt: "Vielleicht können wir ein role model sein für Frauen, die Pop machen wollen. Wir wollen zeigen, dass es Spaß macht, aufzutreten und rumzufahren."

Rumfahren. Es gibt einen grandiosen Lassie-Singers-Song über das Tourleben, und auch Britta sind bekennende Freundinnen des On-the-road-Daseins. Über die letzte Tournee mit "Blumfeld" gerät Rösinger ins Schwärmen: "Da gab es spätnachts in popeligen Hotelzimmern tolle philosphische Gespräche. Und der Mixer, der sonst immer ganz still war, redete plötzlich." Man hat Britta vorgeworfen, "Neue Bitterkeit" zu verbreiten. Auf ihrer kommenden Tour wollen sie ein noch unfertiges, sehr fröhliches Lied spielen. Arbeitstitel: "Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Licht daher."

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