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Brücke-Museum: Das Ungewusste und das Ungewollte

Maler der Transparenz: Das Berliner Brücke-Museum zeigt eine Erich-Heckel-Retrospektive

„Der Wald, ein Glasbau, auf dem kein Gesetz der Schwere mehr lastet. Eine klingende Klarheit“, schreibt Erich Heckel 1914 nach einem Ausflug nach Caputh. Wie die Kuppel einer Kathedrale wölben sich in seinem Bild des Orts die Bäume über dem Kanal, die hölzerne Brücke gleicht einem Altar im Andachtsraum der Natur. Zwischen dem Grün der Blätter schimmert die weiße Leinwand hindurch. Erich Heckel malt die Transparenz der Elemente. Dennoch bleiben seine Bilder seltsam undurchdringlich. Das Wasser wird zum Spiegel, die Luft zu Eis, das Licht zu Glas. Seine Kunst ist ein Spiel mit Durchlässigkeit und Verschlossenheit, eine Jenseitssuche, die nie ans Ziel gelangt.

Mit der großen Retrospektive „Aufbruch und Tradition“ will das Brücke-Museum den „ganzen Heckel“ zeigen, nicht nur die vertrauten Gemälde aus der kurzen Zeit der Brücke zwischen 1905 und 1913. So ist auch das unbekannte Spätwerk aus den fünfziger und sechziger Jahren zu sehen. Überraschend an diesem Rückblick ist, wie wenig die beiden Weltkriege die Malerei von Erich Heckel beeinflusst haben.

Am Anfang ist alles Dynamik und Drama in den puren Farben der Brücke. Die raschen Pinselstriche, die frische Subjektivität vermitteln die Selbstgewissheit der Brücke-Künstler. „Unmittelbar und unverfälscht“ haben sie sich 1905 auf die Fahnen geschrieben. Doch schon 1913, nach dem Umzug von Dresden nach Berlin, löst sich die Gruppe auf. In der Ausstellung ist die Berliner Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Heckels stärkste Phase. Er malt auch in der Stadt die Natur, dämpft seine Farben im Schatten der Fabriksilhouetten. „Gelbe Segel“ verdichtet 1913 Idylle und Industrie. Bei Nacht spiegeln sich die Segel eines Fischerbootes wie Diamanten in der See. Im Hintergrund ragt die Hafenanlage auf. Wie durch ein Brennglas zurrt der Maler die Perspektive zusammen, fokussiert auf die leuchtenden Segel, die aus der Nacht hinausführen.

Die neuen, gedeckten Töne verwendet Erich Heckel auch für die Porträts seiner künftigen Frau, der Tänzerin Sidi Riha, Siddi genannt. Für die Kranke fertigt Heckel 1913 das Triptychon „Die Genesende“. Die abgemagerte Gestalt seiner Freundin platziert er in die Mitte, rechts und links malt er Blumen und weiche Stoffe. Fast scheint es, als wollte der Künstler die Geliebte mit den Seitenflügeln des Bildes schützend umarmen. Siddi wird in Heckels Malerei zum Alter Ego – die hohe Stirn, die dunklen Augen, das tiefe Braun von Haut und Haar – zwischen der gedankenverlorenen, kantigen Frau und den erotisch aufgeheizten Darstellungen der kindlichen Fränzi, dem Lieblingsmodell der Maler in Dresden, liegen Welten.

Den Ersten Weltkrieg erlebt Heckel als freiwilliger Sanitäter in Flandern. Doch die Erschütterung des Krieges schlägt sich in seiner Kunst nur verhalten nieder. „Frühling in Flandern“ heißt die Darstellung einer fast unberührten Deichlandschaft aus dem Jahr 1916. Im Hintergrund biegt ein Sturm die Bäume, der Himmel wird von fahlem Wetterleuchten erhellt. Im Zentrum des Bildes aber herrscht unheimliche Ruhe. Der Krieg ist ein abstraktes Grollen. Heckels befremdliche Abgeklärtheit wird verständlicher durch die Situation, in der er sich befindet. Er gehört zu dem Sanitätszug, den Walter Kaesbach, Kustos der Berliner Nationalgalerie, aus Malern und Schriftstellern zusammengestellt hat. Die „kleine Akademie“ wird die Einheit genannt. Hier findet Heckel seinen neuen Freundeskreis. Der Dichter Ernst Morwitz etwa macht ihn mit dem Werk von Stefan George vertraut.

Nach dem Krieg erbleicht Heckels Malerei. In den zwanziger Jahren orientieren sich die Konturen an der Strenge der Neuen Sachlichkeit. Aber der Künstler will noch immer durch die Materie hindurchschauen, hin zum „Ungewussten und Ungewollten“. Wasser und Himmel malt er jetzt in transparenten Schichten. Die weißen Häuserwände der südfranzösischen Stadt Angoulême erscheinen durchsichtig, dabei reflektieren sie nur das gleißende Licht. Die Suche nach Transzendenz endet beim Spiegelbild.

Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg verheeren das Werk. Heckel erhält Ausstellungsverbot, seine Bilder werden beschlagnahmt, sein Atelier brennt aus, ein großer Teil seiner Kunst geht verloren. Er findet Zuflucht am Bodensee. Das Spätwerk ist von Emotionslosigkeit befallen. Die Landschaften verknöchern, die Berge werden zu Skeletten, die Dünen zu Gräbern. Die Ausstellung will Erich Heckel als modernen Romantiker zeichnen, der im Alter seine Mittel reduziert bis fast zur Abstraktion. Doch die Bilder glühen nicht mehr, sie zweifeln nicht, sie suchen nicht. Die klingende Klarheit von einst gefriert zu verschlossener Geistigkeit.

Bis 16.1.2011, Brücke-Museum Berlin, Bussardsteig 9, tgl. außer Di, 11 bis 17 Uhr.

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