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Berlin, Friedrichsruher Straße. Dort malte sich Lotte Laserstein 1927 auf diesem Selbstporträt.

© Kai-Annett Becker/Städel

Buch von Fredrik Sjöberg: Weitermachen, wenn es nicht weitergeht

Fredrik Sjöberg spiegelt sein Leben als Schriftsteller in Lotte Laserstein und Olof Agren, die auf unterschiedliche Weise zu malen aufgehört haben.

Ein unauffälliges Cover und ein diffuser Titel, dessen Unterzeile („Über die Flüchtigkeit des Ruhms und den Umgang mit dem Scheitern“) eher Tristes verheißt. Doch der Autor lächelt so offen und hell von der Umschlagklappe, als käme er gut zurecht. Sein Blick tut wohl, und um es gleich zu sagen: Der Text hält, was der Blick verspricht.

In 155 knappen Kapiteln schildert Fredrik Sjöberg die Lebensläufe eines Malers und einer Malerin aus dem vorigen Jahrhundert, die einander weder begegneten noch wahrnahmen. Voller Empathie spürt er ihren scheinbar erfolglosen, spärlich dokumentierten Erdentagen nach, was ihm Gelegenheit bietet, auch die eigenen Gefühlslagen und Meinungen darzustellen. En passant wird dabei unser aller Langstreckenlauf zwischen Geburt und letztem Seufzer gewürdigt, das Auf und Ab und Hin und Her, dessen Wirkungen manchmal als fragiler Ruhm über den Tod hinausreichen.

Gleich in den ersten Sätze erklärt Sjöberg, 1958 im schwedischen Västervik geboren und heute in Runmarö bei Stockholm, zu Hause, dass er finanziell unabhängig sei und damit frei. Doch seine Devise lautet nicht: Weiter so!, vielmehr scheint ihm der Moment gekommen, mit dem Schreiben aufzuhören. Allerdings möchte er vorher noch über Olof Agren und Lotte Laserstein sprechen, zwei Künstler, die auf sehr unterschiedliche Weise zu malen aufgehört haben.

Lasersteins Unglück wurde von anderen gemacht

Die Biografie des 1874 geborenen schwedischen Arme-Leute-Kindes Olof Agren enthält einige Überraschungen. Von Jugend auf ein Eigenbrötler, verstörte er seine Umgebung mit radikalen Urteilen und einer kompromisslosen Lebensweise: Lange vor Thomas Bernhards Romanen war er die fleischgewordene Bernhard-Figur. Seine Malerei fand wenig Widerhall und für ihren Schöpfer interessierte sich auch kaum jemand.

„Ich bin zwar nicht erstaunt“, schreibt Sjöberg, „aber manchmal doch erbost darüber, dass Agren vergessen wurde, während andere in die Geschichte eingingen. Das ist nicht gerecht.“ Das mag stimmen, aber wer erwartet Gerechtigkeit vom schwankenden Kunstdiskurs? Während Agren seines einsamen Glückes Schmied war, wurde Lotte Lasersteins Unglück von anderen gemacht. 1898 nahe Königsberg geboren, studierte sie Malerei in Berlin und feierte Anfang der 30er Jahre erste Erfolge. Ihrer jüdischen Wurzeln, aber sicher auch ihrer Malweise wegen, erhielt sie Berufsverbot. Gerade noch rechtzeitig rettet sie sich 1937 nach Schweden, wo sie ihren Lebensunterhalt mit gefälligen Portraits verdient. In Sjöbergs Augen verliert sie dadurch ihren Status als Künstlerin. Obwohl produktiv bis ins hohe Alter, habe sie im Grunde zu malen aufgehört und sich unter die Millionen der Scheiternden eingereiht. Die frühen Bilder allerdings, die sie vor dem Exil schuf, überwältigen ihn ebenso wie die von Agren. Ihretwegen beginnt er, sich mit Laserstein zu beschäftigen. Denn in Wahrheit sind die beiden natürlich nicht gescheitert, sondern nur vergessen.

Wie macht man etwas aus nichts?

Sjöberg liebt die Vergessenen. In seiner eigenen Sammlung umgibt er sich mit Bildern von Künstlern, die niemand kennt, und als listiger Streiter möchte er wenigstens einigen zu Ruhm verhelfen und nebenbei, wie er freimütig gesteht, die Anerkennung finden, die er sucht.

Das gelingt ihm vorzüglich, weil er sich selbst vertraut. Sein Buch enthält weder kunsttheoretische Analysen noch ambitionierte Deutungen, sondern erzählt auf ungewöhnliche, doch sehr lesbare Weise zwei Lebensgeschichten, in denen sich der Autor spiegelt. Spannung und Charme entstehen durch den lakonischen Ton, der von Astrid Lindgren bis Lars Gustafsson die schwedische Literatur auszeichnet. Ihr Understatement suggeriert Aufrichtigkeit und bereitet Vergnügen. „Das Leben jedes Menschen ist voller dunkler Punkte, und manchmal, wie im Falle Agrens, ist im Grunde alles ziemlich dunkel. Sieben Jahre habe ich mich jetzt mit seiner Geschichte beschäftigt, und ein ums andre Mal ist mir dabei durch den Kopf gegangen, wie schwierig es doch ist, ihn zu verstehen. Die Kunsthistoriker wissen nichts über ihn und die Archive geben auch nichts her.“ Punktum. Wie also macht man etwas aus nichts? Sjöberg zeigt es, indem er es tut, und man folgt ihm gern.

Mechanismen der Scham

Dickköpfig ist er natürlich auch. Zwischen unterhaltsamen, oft düsteren Anekdoten aus düsteren Zeiten saust der apodiktische Hammer nieder. So kommentiert er Lotte Lasersteins späte Wiederentdeckung wie folgt: „Wenn sie verhaftet und in irgendeinem Lager zugrunde gegangen wäre wie andere aus ihrer Familie, dann wären ihre Bilder, wenn sie in irgendeinem Verschlag überlebt hätten, schon kurz nach dem Krieg in den Himmel gehoben worden. Glauben Sie mir. Über die Mechanismen der Scham weiß ich fast alles.“ Eine kantige These, und als Beleg einzig die Selbsterfahrung des Autors?

Sympathischerweise beansprucht er nicht, der einzige Sehende unter lauter Blinden zu sein, sondern hebt die Verdienste anderer deutlich hervor. Agren hatte trotz Schroffheit und Isolation immer ein paar Käufer und Verehrer, und Lotte Lasersteins frühe Bilder fanden Anfang dieses Jahrhunderts endlich die Wertschätzung, die sie verdienen. Nachdem die Neue Nationalgalerie 2010 „Abend über Potsdam“ erworben hatte, präsentierte sie das großformatige Meisterwerk in der Mitte des Foyers, und wer so glücklich war, diesem leuchtendem Solitär in dem gewaltigen Raum zu begegnen, wo es sein Pathos wie seine Delikatesse entfalten konnte, wird es nicht vergessen. Durch die aktuelle Ausstellung im Frankfurter Städel Museum wird die Begeisterung für Lasersteins Kunst weiter wachsen. „Vom Aufhören“ kann also nicht die Rede sein, auch wenn ein schwarzer Faden durch Buch und Leben läuft, und so getröstet beginnen wir den nächsten Tag.

Fredrik Sjöberg: Vom Aufhören. Über die Flüchtigkeit des Ruhms und den Umgang mit dem Scheitern. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. Galiani, Berlin 2018. 175 S., 20 €.

Gisela Trahms

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