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Tracht ohne Pracht. Das Insignium der Freien Deutschen Jugend.

© picture-alliance/ dpa

Buchkritik: "Eisenkinder" von Sabine Rennefanz: Ellenbogen aus Stahl

Sabine Rennefanz sucht in ihrem Buch „Eisenkinder“ Gründe für den ostdeutschen Rechtsextremismus - und findet sie im Westen. Das aber will unser Autor nicht akzeptieren.

„Eisenkinder“ nennt sie ihre Altersgenossen. Nicht etwa die tiefe Entfremdung durch diktatorische Prägungen, lautet die These des gleichnamigen Buchs von Sabine Rennefanz (Luchterhand, 256 Seiten, 16,99 €), sondern negativ empfundene Wendeumbrüche und die Fehler des Westens haben manche ostdeutsche Jugendliche zu Mördern gemacht. Kurz: Nicht die SED, sondern der Westen ist Schuld. Als Hauptbeleg für „Die stille Wut der Wendegeneration“, wie das Ganze im Untertitel heißt, nimmt Rennefanz, Ostdeutsche des Jahrgangs 1974 und Redakteurin der „Berliner Zeitung“, ihre eigene Biografie. Im Alter von 16 Jahren wird ihr die DDR weggenommen, obwohl sie gerade dabei war, sich dem System hinzugeben. Sie wuchs offenbar wohlbehütet auf, in einem kleinen Dorf nicht weit von Eisenhüttenstadt. Im Alter von 14, 15 Jahren dann die erste fundamentale Wegmarke in der DDR-Diktatur: Darf sie Abitur machen oder nicht? Eine Frage, die die SED kaltblütig beantwortet hat: Abitur macht man nur vor Gnaden der Partei. Höhere Bildung ist nicht etwa ein Recht, sondern eine Art Gnadenbrot, das bei Ungehorsam jederzeit entzogen werden kann.

Rennefanz hat Glück: Sie ist sprachbegabt und kann sich für einen der wenigen Plätze in einer Französisch-Spezialklasse bewerben. Dafür verlässt sie ihr Heimatdorf und die Eltern in Richtung Eisenhüttenstadt, geht ins Internat und liefert sich der Maschinerie einer SED-Eliteschmiede aus. Wer will ihr diesen Weg verdenken? Mit der Wende kommt der Bruch: Plötzlich steht der Karriereweg praktisch jedem offen. Wie soll sich eine Eliteschülerin darüber freuen? Auch Vater Rennefanz erlebt einen typischen Bruch. Er verliert seine Stelle als Kombinatsschlosser und verwindet dies nie. Viele Probleme in Ostdeutschland hängen sicher mit solch tiefen Brüchen zusammen – nur taugen sie nicht zur Erklärung von Verbrechen wie den NSU-Morden. Im Gegenteil. Der Älteste der rechtsextremen Terrorzelle, Uwe Mundlos, machte sich im ähnlichen Alter wie Sabine Rennefanz keinerlei Illusionen über das DDR-System. Er demonstriert diese Haltung in der 10. Klasse vor dem Mauerfall schon recht offen. Mundlos weint dem DDR-System nicht nach, er hält es für schwach und verdammungswürdig. Und der Vater von Uwe Mundlos verliert seine Stelle nicht, er übersteht die Wende sogar relativ unbeschadet.

Ostdeutschland braucht dringend eine zweite Welle der Demokratisierung

Tracht ohne Pracht. Das Insignium der Freien Deutschen Jugend.
Tracht ohne Pracht. Das Insignium der Freien Deutschen Jugend.

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Unzufrieden mit dem Untergang des Systems sowie der Situation im Elternhaus, scheint Rennefanz sich in einem permanenten Gefühl innerer Leere, Unsicherheit und Wut zu befinden. Es hält sie nicht davon ab, Karriere zu machen. Nur, dass sie mit allen Entscheidungen hadert, die sie bewusst fällt. Sie sehnt sich „nach Übersichtlichkeit, nach Einfachheit, nach einer Heimat. Ich hätte wahrscheinlich auch Islamistin, Scientologin oder vielleicht, unter besonderen Umständen, Neonazi werden können. Es war nur eine Frage, wer mich zuerst ansprach.“

So landet sie in Hamburg in der Wohnung einer fundamentalistischen Christin und schließt sich den Evangelikalen an. Eine vielleicht bedenkliche, aber letztlich harmlose Entwicklung, deren Absurdität sie nach einer verkorksten Missionarsreise ins russische Karelien und durch die Beziehung zu einem Mann außerhalb der Sektierer erkennt.

Auch dies hat mit der Erklärung der NSU-Morde wenig zu tun. Menschen wie Uwe Mundlos mangelt es an humanen Werten und Haltung. Ihnen fehlt menschliche Empathie und Solidarität und das Grundgerüst demokratischen Umgangs. Sie hassen Schwächere. Und vor allem hassen sie alles Christliche. Interessanterweise wird gerade die massiv antichristliche Komponente der ostdeutschen Nazikultur von Sabine Rennefanz nicht thematisiert. Die menschliche Kälte, das fehlende Wertegerüst und die mangelnde Sympathie für die Erfordernisse demokratischen Zusammenlebens sind nach über 56 Jahren Diktatur und zwei Systemwechseln eigentlich nicht verwunderlich.

Es ist offensichtlich, dass die Brutalität von Teilen der Nachwendejugend sich dort am stärksten Bahn gebrochen hat, wo die DDR in ihrer reinsten Form existierte, in den Rostocker und Neubrandenburger Plattenbaugebieten, in Hoyerswerda, Eisenhüttenstadt und Jena Winzerla. Und natürlich haben die Eltern eine Mitverantwortung, aber nicht wegen ihrer beruflichen Brüche, sondern wegen ihrer ambivalenten oder gar feindlichen Haltung zu den positiven Traditionen ihrer Heimat: Demokratie, Christentum oder dem preußischen Erbe.

Ostdeutschland braucht dringend eine zweite Welle der Demokratisierung und ein stabiles solidarisch-menschliches Wertegerüst, das auf Eigenverantwortlichkeit setzt. Und es geht um Verständnis dafür, dass Ellenbogenmentalität eine Karikatur von Eigenverantwortung ist. Es ist kein Zufall, dass Sabine Rennefanz eben das nicht wurde, was die mutmaßlichen NSU-Mörder auf Grund ihrer Eisenwurzeln immer waren – stahlhart und eiskalt.

Philipp Lengsfeld, 1972 in Ostberlin geboren, promovierter Physiker, wurde 1988 von der EOS Carl von Ossietzky relegiert und 1989 rehabilitiert. Er arbeitet in der Wirtschaft und kandidiert für die CDU für den Bundestag im Wahlkreis Berlin-Mitte.

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