zum Hauptinhalt
Hauptsache bunt. Auf der Frankfurter Buchmesse präsentierte sich Indonesien am Dienstag auch folkloristisch. Die Gegenwartsliteratur des Landes ist hochpolitisch.

© dpa

Buchmessen-Gastland Indonesien: Aufbruch in die neue Freiheit

Vorbei die Zeit des Stummseins: Junge indonesische Autorinnen arbeiten die Jahre der Diktatur von General Suharto auf. In diesem Jahr ist Indonesien Gastland bei der Frankfurter Buchmesse.

In der indonesischen Hauptstadt Jakarta ist fast jeder auf dem Rad unterwegs – der Verkehrskollaps ist hier der Dauerzustand. Einen nennenswerten städtischen öffentlichen Nahverkehr gibt es nicht. Die Ruhe, die zur Lektüre erforderlich ist, sucht man in dieser anstrengenden Metropole vergeblich. Menschen mit einer Zeitung oder einem Buch in der Hand sind nicht zu sehen. Aber auch außerhalb Jakartas lesen die Menschen wenig.

Der Dichter, Übersetzer, Verleger und Kettenraucher Agus Sarjono schätzt, dass sich nur knapp zehn Prozent der Indonesier für Bücher interessieren. „Viele wissen nicht, dass Lesen ungeheuer spannend ist, dass es erhellend, auch positiv verstörend sein könnte“, sagt er über den Straßenlärm hinweg. Die besten indonesischen Romane zeichnen ein Bild des Landes, das hierzulande kaum bekannt ist. Wenn wir an Indonesien denken, kommt zuerst Bali in den Sinn: ein exotisches Urlaubsparadies. Aber das südostasiatische Land der vielen Inseln ist keineswegs nur ein verlockender Sehnsuchtsort. Indonesische Schriftsteller erinnern vielfach daran, dass ihr Land vor fünfzig Jahren zu einem Massengrab wurde – ein bis heute unbewältigtes Trauma.

Die Propaganda des Suharto-Regimes wirkt nach

Einer 1965 entfesselten Jagd auf Kommunisten fielen in wenigen Monaten schätzungsweise eine Million Menschen zum Opfer. Joshua Oppenheimers Film „The Act of Killing“ hat die Schlächterei 2012 in schaurige Bilder gefasst. Der US- Regisseur bat die bis heute unbehelligt gebliebenen Mörder von einst, ihre Taten nachzuspielen. Mit welcher Verzückung diese im Film Puppen einen Draht um den Hals legen, ist schwer zu ertragen – genauso wie der frappierende Mangel an Scham und Schuldbewusstsein.

Doch die offizielle Propaganda, die aus den Opfern sadistische Unmenschen gemacht und so ihre Auslöschung zu legitimieren versucht hat, scheint in Indonesien bis heute nachzuwirken. Die Auseinandersetzung mit der blutigen Geschichte verläuft schleppend. Der Berliner Übersetzer Peter Sternagel, der lange in Indonesien gelebt hat, sieht Parallelen zu unserer Geschichte: „Das ist dasselbe wie in den Jahren nach 1945, es war alles nicht so schlimm.“

Die Aufführung von Oppenheimers Nachfolgefilm „The Look of Silence“, in dessen Zentrum die Opfer stehen, wurde zunächst verboten. Unterdessen erfreut sich das 1990 im Süden Jakartas errichtete Museum des Verrats der Kommunisten – das tatsächlich so heißt – unvermindert großen Zulaufs. In einer bizarren Ausstellung werden dort Kommunisten als wilde Bestien porträtiert.

Es ist die indonesische Literatur, die dem vorgegebenen Geschichtsbild eine andere, differenzierte Sicht entgegenstellt. Der bedeutendste moderne Autor des Landes, der oft als Nobelpreiskandidat gehandelte Pramoedya Ananta Toer, hat das etwa in seinem autobiografischen Werk „Stilles Lied eines Stummen“ (Verlag Horlemann, 2000) getan – unter schwierigsten Arrestbedingungen. Erst seit Suhartos erzwungenem Rücktritt 1998 können die traumatischen Ereignisse offener und mit Nachdruck thematisiert werden.

Die erste Autorin, die das tat, war Ayu Utami. Sie arbeitete in einem früheren Leben als Model – und entschied sich dann für eine ungleich beschwerlichere Karriere als Schriftstellerin. Ihr Roman „Saman“, der sie ihn Indonesien bekannt machte, erschien bereits 1998, auf Deutsch gibt es jetzt die Fortsetzung „Larung“. Beide Bücher (Verlag Horlemann, 1998, 2014) entstanden während der Diktatur – was ihren Schreibstil geprägt habe, so Ayu Utami bei einem Treffen im Kulturzentrum Salihara, einem der wenigen entspannten Orte in Jakarta. Sie unterrichtet hier Kreatives Schreiben: „Wir lebten in einer kontrollierten Welt. Es gab nur eine Wahrheit. Aber die Realität ist natürlich nie so simpel. Deshalb habe ich in so einer fragmentierten, chaotischen Weise geschrieben.“

Warum vor allem die Frauen?

Vorreiterin. Ayu Utami hat viele jüngere Autorinnen beeinflusst.
Vorreiterin. Ayu Utami hat viele jüngere Autorinnen beeinflusst.

© dpa

Tatsächlich fordern Utamis Romane den Leser. Vor allem „Larung“ ist ein disparates Buch: Erzählt wird zunächst von der archaischen Kindheit des titelgebenden Helden auf dem Land in den sechziger Jahren. Überschattet wird diese Zeit von einer mörderischen Massenhysterie, die das Militär entfacht und der auch Larungs Vater zum Opfer fällt. Im Verlauf des Romans, Larung ist mittlerweile ein erwachsener Mann, wird er mit anderen Menschenrechtsaktivisten zu einem Leben im Untergrund gezwungen. Staatliche Gewalt kommt gegen Ende der Suharto-Regentschaft bloß dosierter zum Einsatz, weniger bedrohlich ist sie nicht.

Ayu Utami schreibt mit einer zuvor unbekannten Offenheit und Direktheit über Kommunismus, Gewalt und Sexualität. Utamis Romane haben die indonesische Literatur verändert. Ihrem Vorbild sind andere gefolgt, darunter auffallend viele Frauen. Eine davon, Laksmi Pamuntjak, versucht das Phänomen zu erklären. „Vielleicht sind wir einfach an Diskriminierung gewöhnt, daran, dass unsere Ausdrucksmöglichkeiten erstickt werden sollen. Deshalb ist besonders unter Frauen der Gedanke verbreitet: Was haben wir schon zu verlieren?“

Anders als die meisten Schriftsteller im Land muss sich Pamuntjak, die perfekt Englisch spricht, zumindest um ihren Lebensunterhalt nicht sorgen. Sie kommt aus begüterten Verhältnissen, ihr Vater war Architekt. Zunächst wollte sie Konzertpianistin werden, Besuchern in ihrem Haus spielt sie gern etwas am Piano vor. Doch entschieden hat sie sich wie Ayu Utami für das Schreiben. Ihr Romandebüt „Alle Farben Rot“ verfasste sie zuerst auf Englisch, in der Hoffnung auf eine größere Leserschaft. Was verständlich ist angesichts niedriger Auflagen in Indonesien, 25 000 hat sie erstaunlicherweise verkauft – und doch auch irritierend, denn ihr Roman begibt sich tief in die Historie des Landes .

Die Vergangenheitsbewältigung hat erst begonnen

Wie Pamuntjak arbeitet auch Leila Chudori für das wichtigste politische Magazin des Landes, „Tempo“. Vehement kritisiert die engagierte Journalistin, die in Kanada Politikwissenschaften studiert und lange Jahre als Auslandskorrespondentin gearbeitet hat, beim Treffen im großen, modernen „Tempo“-Verlagshaus die Erinnerungspolitik der gegenwärtigen Regierung: „Wir haben noch einen langen Weg zu gehen. Die Massaker werden von offizieller Seite hartnäckig geleugnet oder verschwiegen. Die Regierung kann sich bis heute darauf verlassen, dass weite Teile der Bevölkerung 32 Jahre lang einer Gehirnwäsche unterzogen wurden.“

Chudoris Roman „Pulang. Heimkehr nach Jakarta“ (Weidle Verlag, 2015) umspannt im Kern die Zeit vom Militärputsch bis zum Ende der Suharto-Ära und seines Regimes der Neuen Ordnung. Schauplatz ist zunächst überwiegend Frankreich. Denn nicht zuletzt ist „Pulang“ ein schmerzlicher Exilroman. Einige Freunde, die sich vor der Verfolgung retten konnten, bauen sich in Paris mühsam eine neue Existenz auf. Aber die Heimatsehnsucht lässt sie nicht los, vor allem Dimas nicht. Erst seiner Tochter Lintang glückt, was ihm verwehrt bleibt: 1998 kommt sie nach Jakarta – und erlebt ein Land im Umbruch.

Chudori zeigt eine junge Generation im Aufbruch, die sich nicht mehr einschüchtern lässt und ein freies Leben einfordert. Doch auffällig ist auch, wie wenig ausgeprägt dabei das Interesse vieler an der monströsen Vergangenheit ist.

Ob es der engagierten indonesischen Literatur gelingt, entscheidende Anstöße für eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte zu geben? Das Land braucht Zeit, glauben viele. Doch die Schriftstellerinnen wollen nicht abwarten. Entschlossen gibt Pamuntjak zu Protokoll: „Ein Autor, der sich entscheidet, über diese Vergangenheit so zu erzählen, wie ich es getan habe, hat die Pflicht zu versuchen, Einfluss darauf zu nehmen, wie Menschen denken. Wenn man den Glauben daran verliert, dass Bücher dazu in der Lage sind: Warum sollte man überhaupt Schriftsteller werden?“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false