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Kultur: Buchstaben über der Stadt

Der Grafikdesigner Paul Snowden feiert mit aggressiven Plakaten und düsteren Covern die Berliner Jugend

Wer weiß, wie es stünde um Paul James Snowden, wenn sein großer Bruder nicht so ein begeisterungsfähiger Mensch gewesen wäre. Jede Woche schlug dessen Herz für neue Punkrock-Bands. Jede Woche musste Snowden ihm ein neues Shirt gestalten, das den Schriftzug des aktuellen, kurzlebigen Idols trug. Das schult. Da beginnt man, über leere Flächen nachzudenken. Über Buchstaben und Botschaften. Der neuseeländische Grafikdesigner sitzt in der Kreuzberger Galerie Sandra Bürgel zwischen seinen und überlegt. Von den Wänden brüllen serifenlose Großbuchstaben herunter. Sein Markenzeichen: die schräg über das Papier gedruckte Futura-Schrift. Snowden versucht, eine Entwicklungslinie zu denken, die diesen Schüler in Auckland, der er damals war, möglichst schnörkelfrei verbindet mit dem 36-jährigen, gefragten Layouter, der er heute ist. Der in Deutschland von Plattencovern für obskure Hardcore-Bands über Ausstellungen wie etwa der Sonderschau des letztjährigen Art Forums bis zu Logos für Gewerkschaften und die Grünen so gut wie alles gestaltet, wofür sein Herz schlägt. Oder was zumindest Geld einbringt und nicht ganz und gar böse ist.

Im Kampf gegen das Böse wird das Gute obsiegen, „In The Battle Against Evil The Good Will Pervail“, lautet der Titel von Snowdens Ausstellung. Biblisch klingt das. Der Grafiker führt den Kampf wenn nicht gegen das Böse, so doch gegen das Falsche in seinen Arbeiten direkt, hart und irgendwie laut. Seine Plakate, Kunstwerke, Cover gieren nach Aufmerksamkeit, dulden keinen Widerspruch, beherrschen ihr Umfeld autoritär, beinahe totalitär. Am Eingang der Galerie hängt ein dreiteiliges, schwarzes Riesenposter, darauf steht in weißer, schnörkelloser Versalschrift: „LECK MICH AM ARSCH WAS GEHT.“ In etwas kleineren Lettern ist der Name des Absenders („Italiaboy19“) und Datum und Uhrzeit dieses Flirtchat-Beitrags angefügt. Eine Nichtigkeit, eine Erdsekunde, eine Mini-Emotion, durch das große Format aufgeblasen zu einer irrwitzigen Bedeutsamkeit. An so etwas hat Snowden seine Freude.

Und doch bringt auch dieser schnell hingeschriebene Satz eine Stimmung auf den Punkt: die Flüchtigkeit und Heftigkeit von Beziehungen, Gefühlsaufwallungen des hingelaberten, hingelebten Moments. Auch Paul Snowdens kleines Modelabel „Wasted German Youth“ trifft einen Spirit, den Geist des Berliner Nachtlebens, ziemlich genau. An Clubtoilettenwänden, Fahrstühlen oder Stromkästen konnte man schon länger diese drei Worte von der fertigen, verschwendeten, deutschen Jugend lesen, die stolz und schön klangen. So nach Hingabe.

„Eines Morgens nach einer langen Loveparade-Nacht im Tresor“, erinnert sich Snowden, „sah ich im Garten des Clubs die abgefeierten Leute und sagte zu einem Freund: Look at this wasted German youth.“ Seitdem hat ihn diese Wendung nicht mehr losgelassen. Sie steht für die Feierlaune dieser Stadt, für ihr ravendes, rasendes Herz, einem Ruf, dem mehr und mehr Spanier, Skandinavier, Italiener folgen. Zur Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer hingen überall in Berlin Adidas-Plakate mit der Aufschrift „We came to play!“. Snowden überklebte hier und da das „play“ mit einem „fuck“ und setzte sein „Wasted German Youth“-Logo drunter.

Paul Snowden mag es rau, minimalistisch und radikal. Der Neuseeländer, der einer deutschen Austauschschülerin in ihre Heimat folgte, sieht mit neonfarbenen Turnschuhen, Daunenjacke und kahlrasiertem Schädel ein wenig wie ein Hooligan aus. Doch im Gespräch wirkt er, anders als in seinen Arbeiten, zurückhaltend, fast schüchtern. Auch wenn er jetzt in Galerien ausstellt und mit ersten Installationen nicht nur mehr Flächen, sondern auch Räume füllt, hat er sich noch nicht daran gewöhnt, im Mittelpunkt zu stehen. Immer wieder verrennt er sich, stockt, muss noch mal nachdenken. Er will auch nicht zu viele Geheimnisse verraten, sagt er plötzlich. Dann wieder fragt er mitten im Gespräch: „Ist das Interview gut so weit?“ Ja, gut so.

Vielleicht langweilt er sich auch einfach nur schnell. Wenn er in subversiven Adbuster-Aktionen Anzeigen überklebt, ist das auch der Kommentar eines angeödeten Künstlers auf die heutige Werbewelt, die er peinlich findet. „Das war damals anders“, sagt er. Vor zehn Jahren arbeitete Snowden in der Hamburger Werbeagentur „Springer & Jacoby“. Sein Studium an der Hamburger Kunsthochschule hatte er noch nicht beendet, er nahm es auch nicht allzu ernst. Im Jahrgang über ihm arbeiteten die angehenden Malerstars Daniel Richter und Jonathan Meese an ihren verstörenden Bildern, Snowden stieg innerhalb von zwei Jahren zum Art Director auf, verdiente viel Geld, hatte viele Freiheiten, erhielt einige Auszeichnungen, darunter den Goldenen Löwen des Werbefestivals in Cannes. „Diese Preise wollte niemand sehen, mein Kunstdiplom wollte niemand sehen. Egal“, sagt er, und es klingt nicht beleidigt. Es ist ihm wirklich nicht wichtig.

Wichtig sind die „Herzensangelegenheiten“, wie er das nennt. Etwa die Agentur Redesigndeutschland, die er in Berlin um die Jahrtausendwende mitbegründete. Das Kollektiv aus Künstlern und Designern wollte nicht weniger, als alle Lebensbereiche komplett zu vereinfachen und zu demokratisieren – samt der Zeitrechnung und der Grammatik. Snowden versucht, für jedes Projekt den ultimativ passenden Ausdruck zu finden. Den Titel des verzweifeltsten Albums der Hamburger Band Blumfeld „Testament der Angst“ hat er mit weißer Schrift auf schwarzem Grund wie einen Grabsteinspruch auf das Cover gesetzt. Auf der Internetseite des Electro-Stars DJ Hell hingegen wirkt Snowdens Futura kaputt und dynamisch. Und die von ihm entworfene Titelseite der „Deutschland“-Ausgabe des Magazins „Dummy“ bestand nur noch aus Wörtern.

„Ich habe bei allen Projekten immer versucht, mein Ding durchzuziehen.“ Es ist ihm gelungen. Snowdens „Ding“, so einfach wie wirkungsvoll: die Konzentration auf eine Typografie, die ein wenig an Punk-Fanzines erinnert, ein wenig an konkrete Poesie. Damit emanzipiert sich der Layouter weiter von der bildgläubigen Werbebranche. Am Anfang war das Wort – und am Ende immer noch.

Die Ausstellung „In The Battle Against Evil The Good Will Pervail“ ist bis 27. Januar in der Galerie Sandra Bürgel, Hedemannstr. 25 (Kreuzberg), zu sehen. Geöffnet Di. bis Sa., 11–18 Uhr.

Daniel Völzke

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