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Kultur: Bücher leben nicht ewig

Tinte, Typen, Träume: Bestseller-Autorin Cornelia Funke über Macht und Grenzen der Fantasie

Frau Funke, vor einer Woche wurde Astrid Lindgrens 100. Geburtstag gefeiert. Was schätzen Sie an ihr?

Ihren besonderen Respekt vor Kindern. Das teilen wir. Als Mensch war sie bewundernswert, durch ihr Engagement, ihren Humor, ihre Bescheidenheit. Ich habe als Kind leidenschaftlich gern ihre Bücher gelesen. Mein Lieblingsbuch war „Die Brüder Löwenherz“. Aber auch „Michel aus Lönneberga“ und „Ferien auf Saltkrokan“ mochte ich sehr.

Die Art, wie mit dem Tod umgegangen wird, verbindet „Die Brüder Löwenherz“ mit Ihrer Tinten-Trilogie, vor allem mit dem letzten Band „Tintentod“. Gemeinsam ist Ihnen beiden auch, dass Sie Kinderbücher für jede Altersstufe schreiben.

Trotzdem hat auch Astrid Lindgren bestimmt Anfragen bekommen, ob sie nicht mal was „Richtiges“ schreiben wollte, und ist doch den Kindern treu geblieben. Ich hoffe, das wird bei mir genauso sein.

Astrid Lindgren war immer wieder für den Nobelpreis im Gespräch. Haben sich durch Erfolge wie „Harry Potter“ und „Tintenherz“ auch Jugendbücher inzwischen als Literatur durchgesetzt?

Kinder werden niemals so angesehen sein wie Erwachsene, und auch nicht die Bücher, die für sie geschrieben werden. Ein Autor, der für Kinder schreibt, hat gar nicht die Erwartung, dass er die gleiche Anerkennung bekommt wie ein Autor von Erwachsenenliteratur. Das ist das Beeindruckende an Astrid Lindgren: dass sie so uneitel und kindlich geblieben ist.

Dennoch werden Ihre Bücher ebenso wie J. K. Rowlings „Harry-Potter“-Serie auch von Erwachsenen verschlungen. Was macht diese Literatur für erwachsene Leser so attraktiv?

Auch wenn man älter ist, lässt man sich gern Geschichten erzählen. Das fantastische Erzählen hat eine Tradition im Kinderbuch, weil es aus der Erwachsenenliteratur verbannt worden ist. Doch die Sehnsucht nach einer Geschichte, in der einem die Welt erklärt wird, ist auch bei Erwachsenen da. Wir alle haben Träume: Ich wäre auch gern mal unsichtbar oder würde mich in ein Tier verwandeln.

Also ein Plädoyer für Fantasie?

Ich wundere mich immer, dass so viele Menschen es sich nicht mehr erlauben zu träumen. Es ist der große Vorteil des menschlichen Bewusstseins, dass wir aus der Realität heraustreten können, dank unserer Vorstellungskraft.

In Filmen passiert das Gegenteil – da wird Fantasie in konkrete Bilder übersetzt. Viele Ihrer Bücher sind verfilmt worden, von den „Wilden Hühnern“ über „Herr der Diebe“ bis zu „Hände weg von Mississippi“. Nächstes Jahr kommt die Verfilmung von „Tintenherz“ ins Kino. Warum lassen Sie sich darauf ein?

Ich ging schon als Kind leidenschaftlich gern ins Kino. Die Magie der Leinwand ist für mich mindestens so stark wie die des Buchs. Der Augenblick, wenn der Vorhang aufgeht oder wenn es dunkel wird, der ist genauso aufregend wie der, in dem man die erste Seite eines Buchs aufschlägt. Auch das verbindet mich übrigens mit Astrid Lindgren, die ein großer Filmfan war.

Sie haben sich bei Filmen, für Hollywood unüblich, weitgehende Kontrollmöglichkeiten ausgehandelt. Warum die Vorsicht?

Es war damals so, dass ich mitten in der Tinten-Trilogie steckte und Angst hatte, dass bei der Verfilmung von „Tintenherz“ Akzente gesetzt werden, die dann mit meinen Vorstellungen kollidieren. Inzwischen wird akzeptiert, dass ich keine Verfilmung meiner Bücher zulasse, bei denen ich nicht als Produzentin mitwirke. Und ich liebe es, mit einem Filmteam zu arbeiten. Da ist dann zum Beispiel ein Art Director, der sagt: Willst du mal mitkommen? Ich habe Elinors Bibliothek gebaut. Und dann kann man da reingehen und alles anfassen, was man sich vorher vorgestellt hat. Ich habe das auch von J. K. Rowling gehört, dass sie beim Besuch der „Potter“-Sets darum gebeten hat, dass man sie dort alleine lässt. Das ist wirklich ein magischer Moment.

Mit J. K. Rowling werden Sie immer wieder verglichen. Sind Sie der „Harry Potter“-Autorin schon mal persönlich begegnet?

Erstaunlicherweise nicht. Ich kenne lauter Menschen, die mit ihr zusammenarbeiten, aber ich habe sie noch nie getroffen. Am nächsten gekommen bin ich ihr in Los Angeles bei ihrer Lesung im Kodak-Theater. Aber ich habe mich bewusst nicht nachher angestellt, denn der Abend gehörte den Kindern. Ich glaube, da ist sie genauso wie ich.

Sie selbst sind vor drei Jahren mit Ihrer Familie von Hamburg nach Los Angeles gezogen und damit, ähnlich wie die Figuren Ihrer Bücher, Wanderer zwischen zwei Welten geworden. Sind sie süchtig nach der anderen Welt?

Im Gegenteil, ich genieße das. Ich komme gern wieder nach Deutschland. Aber es ist nicht so, dass ich hier Heimatgefühle bekomme. Ich fühle mich in Los Angeles wohl. Ich bin einfach einen Schritt weiter gegangen im Leben.

Viele Schriftsteller haben darüber geklagt, dass sie im Ausland ihre Sprache verloren haben. Kommt es Ihnen fremd vor, Ihre Bücher in einer anderen Sprache zu lesen?

Gerade meine Tinten-Bücher sind so fantastisch übersetzt, dass ich nie das Gefühl habe, es sei etwas fremd. Aber ich schreibe jetzt auch auf Englisch. Wenn man im Alltag ständig mit einer Sprache zu tun hat, wächst die Sehnsucht, sich schriftstellerisch damit zu beschäftigen. Ich habe jetzt ein Buch auf Englisch geschrieben, und plötzlich sagen meine amerikanischen Verleger: Es klingt ganz anders. Sie haben das Gefühl, sie hören zum ersten Mal meine Stimme original.

In „Tintentod“ ist der Akt des Schreibens deutlich wichtiger geworden als der Akt des Lesens. Im Zentrum steht nicht mehr Mo, die Zauberzunge, sondern der Dichter Fenoglio. Sind Ihre Bücher selbstreferenzieller geworden?

Ich habe das nicht bewusst gemacht. Aber Fenoglio war immer eine meiner Lieblingsfiguren, er ist mein Alter Ego, auch wenn ich hoffe, dass ich nicht so eitel bin wie er. Wenn man eine Trilogie schreibt, die sich so viel mit Erzählen und Schreiben beschäftigt, ist es wohl folgerichtig, dass man sich Gedanken über den Prozess des Schreibens macht.

Virginia Woolf hat in „A Room of One’s Own“ beschrieben, was man braucht, um als Frau unabhängig arbeiten zu können: Zeit, Geld, ein Zimmer – und Ruhe für sich. Was brauchen Sie zum Arbeiten?

Inzwischen kann ich wirklich überall schreiben. Früher brauchte ich strikte Rituale, meinen Tee, eine Kerze, bestimmte Musik. Ich habe inzwischen auf den Knien, an Flughäfen oder in Hotels Kapitel meiner Bücher in Notizblöcke geschrieben. Und es hat auf die Qualität erstaunlicherweise keine Auswirkung.

Gerade ist in Weimar die Anna-Amalia-Bibliothek, die vor drei Jahren abbrannte, wiedereröffnet worden. Auch in Ihren Büchern sind Bibliotheken gefährdete Orte: Sie brennen ab, oder die Bücher schimmeln. Warum ist der Untergang von Büchern so ein Trauma?

Wenn man sich mit Büchern beschäftigt, wird einem bewusst, wie zerbrechlich sie sind, und dass sie eigentlich nicht dazu geschaffen sind, ewig zu leben. Aber ich empfinde das Buch nicht hauptsächlich als bedrohtes Kulturgut. In meinen Werken geht es vor allem um die Lust am Buch: darum, zu zeigen, wie schön ein Buch sein kann.

In der Tintenwelt wimmelt es von Buchproduzenten. Sie selbst haben als Illustratorin angefangen, Ihr Mann war gelernter Buchdrucker. Was ist ein schönes Buch?

Der Einband ist wichtig, die Typografie, die Illustrationen. Bei alten Büchern ist wichtig, wie sie riechen. Und ich liebe es, wenn Bücher Vorsatzblätter haben. Das Vorsatzblatt ist wie der Vorhang im Kino. Es öffnet den Blick.

Das Gespräch führte Christina Tilmann.

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