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Zusammenarbeiter. In Händlers Roman entstehen im Geheimlabor kooperative Roboter. Hier deren Kollegen im Volkswagenwerk in Wolfsburg.

© REUTERS

Bücherfrühling: Der programmierte Dichter

... und der kreative Mann: Ernst-Wilhelm Händlers Roman „Der Überlebende“ dreht sich um den Ingenieur einer Maschinenfabrik, der im Forschungslabor kooperative Roboter entwickelt. Ein Buch über Manipulation, das auch seine Leser manipuliert.

Seine Romane gleichen Maschinen, ein Rädchen greift ins andere, jedes Element hat seine Funktion. Der 1953 geborene Ernst-Wilhelm Händler ist der Konstrukteur unter den deutschen Gegenwartsautoren. Und weil er lange Unternehmer war und neben Philosophie auch Betriebswirtschaft studiert hat, gilt er als Schriftsteller mit Alleinstellungsmerkmal: einer, der sich auch mit der Wirtschaft auskennt.

Seine Romane spielen in Gesellschaftsschichten mit elaborierten Codes, unter Wissenschaftlern, Architekten, Führungskräften, und sie lassen diese Codes abschnurren, ohne ihnen mit einem eigenen Stil in die Quere zu kommen. Was man normalerweise mit Literatur verbindet, fehlt bei ihm. Er ist stolz darauf, keine eigene Sprache zu haben. Das ist nicht so kurios, wie es klingt. Immerhin war dies einst der philosophische Ausgangspunkt der Avantgarde: dass mit dem Verschwinden des bürgerlichen Subjekts auch die Idee originärer Schöpfung zu Ende geht.

„Der Überlebende“, Händlers nunmehr siebter Roman, wirkt wie die Probe aufs Exempel. Der Held ist ein Ingenieur von 60 Jahren, der auf recht vertrackte Weise der Schöpfungsidee anhängt, nämlich über den Umweg der Technik. Im neu gegründeten Leipziger Werk der weltweit vernetzten Maschinenbaufabrik D’Wolf, die schon in Händlers Roman „Wenn wir sterben“ eine Rolle spielte, werden speicherprogammierbare Steuerungen hergestellt. Als Werksleiter unterhält er ein geheimes Forschungslabor zur Entwicklung intelligenter Roboter, die zur Zusammenarbeit befähigt werden sollen. Warum die Sache so geheim ist, erfährt der Leser allerdings ebenso wenig wie Genaueres über die Besonderheit dieser Roboter. Arbeiten wie das Heben von Lasten, für die ein einzelner Roboter zu schwach ist, können sie gemeinsam ausführen, wenn sie sich mit anderen „S-bots“ zusammenschließen.

Vielleicht ist es Laiendummheit, wenn man meint, solche Roboter mit einer gewissen Lernfähigkeit bereits in wissenschaftlichen Fernsehsendungen gesehen zu haben. Aber letzten Endes tut das nichts zur Sache. Denn die Forschungen des Helden sind vor allem eine Blackbox, die suggeriert, es gehe um das große Ding, während die entscheidenden Dinge anderswo ablaufen.

Die Frau des Helden war Künstlerin, also eine Konkurrentin auf dem Feld der Schöpfung. Zu Beginn des Romans ist sie bereits tot und fungiert als die große Abwesende, die der Ich-Erzähler wie eine Himmelsinstanz ansprechen kann. Im Verlauf des Romans stellt sich heraus, dass er sich zu ihren Lebzeiten nicht besonders um sie gekümmert hat, mehr noch: dass er für ihren Tod verantwortlich ist. Er hat sie auf dem Altar seines Forschungsprojekts geopfert. Ähnlich ergeht es auch der gemeinsamen Tochter Greta, einer hoch begabten jungen Frau, die der Ingenieur schon in ihrer Kindheit mit dem Virus abstrakten Denkens infiziert hat. Auf einer Reise an die Ostsee bat er sie, sie solle sich einen Würfel vorstellen und ihn im Geiste drehen, einzig zu dem Zweck, dass er sie bei ihrer Anstrengung beobachten kann. Angefixt durch den Erfolg des Experiments, schult sie ihren Geist so sehr, dass sie eines Tages an ihm irre wird. Auf ihrer Wange platziert Händler eine Narbe in Form eines umgedrehten Y, ein Zeichen, dass er sie symbolisch zum perfektionierten Mann erheben will.

Der Roman bezieht den Leser in die klaustrophobische Weltsicht des Helden mit ein.

Der Unternehmer als Philosoph. Der Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler studierte Betriebswirtschaft und hat lange in der Wirtschaft gearbeitet.
Der Unternehmer als Philosoph. Der Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler studierte Betriebswirtschaft und hat lange in der Wirtschaft gearbeitet.

© picture-alliance/ dpa

Der Neid auf die weibliche Gebärfähigkeit und auf künstlerisches Schöpfertum sowie das Phänomen der Selbstbeobachtung und der Beobachtung des Beobachters sind häufige Motive im Werk ErnstWilhelm Händlers. „Der Überlebende“greift sie in der Form eines postmodernen Faust-Romans noch einmal auf. Der von Kontaktscheu, Idiosynkrasien und Kontrollzwängen gepeinigte Held hat durchaus das Zeug zum Typus. Er verkörpert jenen neuen Menschenschlag, dessen spezifische Deformation mit der Arbeit systematischer Kontrolle und Optimierung zu tun hat, aber auch mit dem besessenen Laborieren an technischen Problemen. Max Frischs „Homo faber“ ist im Vergleich zu diesem Ingenieur ein Waisenknabe.

Seitenlang referiert er kosmologische Theorien, nur um zu dem Schluss zu kommen, sein Forschungslabor sei immerhin wahrscheinlicher als die Entstehung des Universums. Mit seinem Ziehsohn Peter, der ebenfalls im Leipziger Werk arbeitet, kann er sich erst dann unterhalten, wenn dieser nach einem Boxkampf im Koma liegt. Als seine Frau im Krankenhaus war, installierte er heimlich eine Kamera mit Mikrofon, um bei ihr zu sein, damit sie „nicht allein“ ist. „Wir waren unüberbrückbar einsam, jeder an eine andere großartige Idee von Erschaffung geschmiedet.“

Nicht nur auf der Handlungsebene geht es in diesem Roman um Steuerung und Manipulation. Auch dem Leser gegenüber verhält er sich invasiv. Als könnte er mit einem ferngesteuerten Greifarm in unserem Bewusstsein herumwühlen, geschieht es immer wieder, dass man gerade auf einen Gedanken gekommen ist, der kurz darauf prompt formuliert wird. Dass das funktionieren kann, hat vermutlich mit dem Schematismus zu tun, mit dem Händler seine Diskurse ablaufen lässt. Kennt man sie, weiß man auch, was als Nächstes kommt. Das hat einen gewissen Reiz, allerdings auch seine Grenzen.

Die Reflexionen über das Schöpfertum umkreisen die immer gleichen Topoi, was auch durch Exkurse in die Kosmologie nicht aufregender wird. Weil aus der Ich-Perspektive eines „intellektuellen Vampirs“ erzählt wird, schließt er den Leser ganz in dessen klaustrophobische Weltsicht ein. Keine andere Erzählstimme mildert den Hang zu Syllogismen. Womöglich ist die Neigung des Autors zu intellektueller Prahlerei die Kehrseite seines Entschlusses, auf einen eigenen Stil zu verzichten. Zumindest meint man seinem Roman die narzisstische Kränkung anzumerken, die mit diesem Verzicht einhergeht. Es ist der Stil, mit dem ein Schriftsteller auf seine spezifische Eigenleistung verweisen kann. Der Intellekt kann das nur unzureichend kompensieren.

Ernst-Wilhelm Händler: Der Überlebende. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 319 Seiten, 19,99 €.

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