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Kultur: Büchsen in seiner Hand

Man könnte den mexikanischen Künstler Gabriel Orozco für einen Träumer halten.Als ihn 1993 das Museum of Modern Art in New York zu einer Ausstellung einlud, erträumte er sich in die Fenster der dem Museum gegenübergelegenen Häuser Apfelsinen, die plötzlich in geheimnisvolle Verbindung mit dem Ausstellungsort traten.

Man könnte den mexikanischen Künstler Gabriel Orozco für einen Träumer halten.Als ihn 1993 das Museum of Modern Art in New York zu einer Ausstellung einlud, erträumte er sich in die Fenster der dem Museum gegenübergelegenen Häuser Apfelsinen, die plötzlich in geheimnisvolle Verbindung mit dem Ausstellungsort traten.Für die Dauer der Ausstellung schien ein verborgenes Beziehungsgeflecht auf; geblieben sind davon nur Fotografien, die an den poetischen Charakter der Aktion erinnern.

Ähnlich ging Orozco zwei Jahre später als Berliner Gast des DAAD-Künstlerprogramms vor; da träumte der Besucher aus Übersee mit einer Mischung aus Sentimentalität und Treffsicherheit für den Nervenpunkt der Stadt von einer Verbrüderung all jener Mopedfahrer, die Besitzer einer gelben Ausgabe des DDR-Modells Schwalbe waren.Zum großen Treffen an der Neuen Nationalgalerie, zu der all jene per Handzettel eingeladen waren, auf deren Gepäckträger Orozco eine Einladung hinterlassen konnte, kam zwar niemand.Doch Berlin hat der Künstler ähnlich wie New York neben diesem Traum eine wunderschöne Foto-Serie hinterlassen, die sein Moped Seite an Seite mit all jenen "Schwalben" dokumentiert, die er auf seinen Touren durch die Stadt zufällig parkend am Straßenrand entdeckt hatte.

Kurz vor der Realisierung scheint dagegen eine andere Vision Orozcos zu stehen: die Idee eines Riesenrades, das sich zur einen Hälfte über, zur anderen unter der Erde dreht.Bei den "Skulpturen.Projekten" Münster 1996 kam das Werk aus Kostengründen nicht zustande; nun macht sich die "Expo 2000" dafür stark.Doch eigentlich möchte man sich eine Umsetzung lieber nicht wünschen, denn dann hätte es sich ausgeträumt, und Orozco würde sein Publikum ganz real und nicht nur metaphysisch zwischen Himmel und Hölle rotieren lassen.

In dieser zauberischen Schwebe des Imaginativen läßt der heute in New York lebende Mexikaner auch den Betrachter seiner jüngsten Arbeit, die er für den Frankfurter Portikus schuf.Mitten in die wintergraue Stadt plazierte er ein Ensemble aus Meeressand, am Strand gefundenen Blechbüchsen und einem bis aufs Gerippe heruntergerosteten Gartenstuhl - Requisiten, die er an der Küste seiner Heimat fand.Die Dosen arrangierte er als surrealistische Zusammenkunft, jede mit dem Etikett der Biersorte "Carta Blanca" versehen.Wie eine Armada eisgekühlter Erinnerungen an heiße Strandnachmittage tauchen sie vor dem eintretenden Besucher auf.Mit der nächsten Welle könnten sie wieder weggespült werden, wären sie nicht ohnehin eine Gestalt gewordene Vision.

Orozco erweist sich hier wieder als großartiger Arrangeur, der den Dingen eine Bedeutung einhaucht, die niemand zuvor in ihnen gesehen hätte.Unvermutet repräsentieren diese Büchsen sämtliche Begegnungen, die je an jenem Strand stattgefunden haben.Sie sind wie ein an die Oberfläche gekommenes Beziehungsnetz, das der Strand erst auf Nachspüren des Künstlers hin preisgegeben hat.Gerade darin aber besteht Orozcos Stärke, daß er wie bei den Orangen in New Yorker Hochhausfenstern, den in Berlin ausfindig gemachten Schwalben das untergründige kommunikative Geflecht einer Stadt oder eines Strandes offenlegt, Orten, wo Menschen zusammenkommen.Und das ist nicht geträumt.

Portikus, Frankfurt am Main, bis 7.März; Katalog folgt.

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