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Amazonen auf Beutefang. Anja Schneider als Penthesilea (vorne) mit Julischka Eichel (li.) und Ninja Stangenberg.

© Thomas Aurin

Bühne: Turnvater Kleist am Maxim-Gorki-Theater

Bandenkrieg mit harten Jungs und kichernden Girlies. Der Liebeswahn als Wehrsportübung: Felicitas Bruckers "Penthesilea" am Berliner Maxim-Gorki-Theater.

Ach, Penthesilea! War’s das? Ist das des Pudels hohler Kern, die relativierende Quintessenz des Massakers, das Na-ja-ist-haltso-passiert nach dem Motto: Shit happens? So wie Anja Schneiders Penthesilea blutverschmiert am Ende des Abends – Achill wurde von ihr und ihren Hunden gerade im Liebeshassrausch zerfletscht – noch einmal auf die Bühne schlappt und Kleists superberühmte Worte spricht (die ja inzwischen quasi als heimliches Motto jeder Telenovela über den Bildschirm flimmern), also: „Küsse, Bisse/ Das reimt sich, und wer recht vom Herzen liebt/ Kann schon das eine für das andere greifen“ – so achselzuckend nüchtern, so harmlos, so irgendwie hausmeisterhaft unbeteiligt, könnte man glatt auf die Idee kommen: War eh alles nur ein Spiel, eh nur ein Missverständnis.

Das ist Kleists „Penthesilea“ in der Regie von Felicitas Brucker am Maxim- Gorki-Theater auch. Ein Spiel in einer Art Holzcontainer (trashig und trendig zugleich: die Bühne Katrin Froschs), dessen Boden sich zu einer rutschigen Schräge hochziehen lässt und den man sich am besten auf einer Industriebrache außerhalb einer namenlosen Stadt vorstellt. Begleitet vom hallenden Industrial-Scheppern des Komponisten Jörg Follert treten auf und gegeneinander an: zwei Gangs, die von Sara Schwartz in schön anzusehende grau-blaue Kleider gesteckt wurden (grob und fein zugleich!). Die Jungs um den harten Achill – Michael Klammer mit irritierender Hellas-Tätowierung auf der Kehle –, die meist breitbeinig herumstehen. Und die Mädchen um Penthesilea, die sich girliehaft anstupsen und infantil kichern, manchmal aber auch, angetrieben von der dominastrengen Oberpriesterin (Nele Rosetz) stramm zur kabarettistischen Gruppengymnastik antreten oder die Arme hochreißen, denn sie sind schließlich vom Stamm der Amazonen und als solche Kämpferinnen, die zwecks Fortpflanzung hin und wieder Männer gefangen nehmen, um sie nach getaner Arbeit wieder zu verstoßen.

Das Widersprüchliche ist zwar ganz in Kleists Sinn, der in dem tatsächlich schwer zu inszenierenden Stück zwischen Achilles und Penthesilea eine Art Kriegstanz zeigt, ein Vor- und Zurücktänzeln, bei dem Achilles Penthesilea „halb Furie und halb Grazie“ nennt und sie von ihm fasziniert als dem „Lieben, Wilden, Süßen, Schrecklichen“ spricht – doch es verfängt nur halb. Denn das Doppelgesichtige, bei Kleist paradox und ambivalent, immer rätselhaft und schließlich mit süßem Schmerz ins Monströse gesteigert, wird von Brucker zu statischen Gegensätzen auseinandergefriemelt, der Wahnsinnstanz zu einer Art Wehrsportveranstaltung kleingeschrumpft.

Da wird im Chor gesprochen, die Rampe hochgerannt und runtergerutscht, man schleudert sich oder andere gegen die Wand, packt einander am Hosenbund und brettert gegen das Holz oder steht minutenlang am Bühnenrand, guckt düster ins Schicksal (das irgendwo im Nichts über den Zuschauerköpfen zu wohnen scheint). Das ergibt, im spartanischen Korsett der Bühne, anfänglich durchaus eine formale Spannung. Die Dramatik bleibt freilich äußerlich. Denn was das eigentlich für ein Krieg ist, in dem die beiden Gangs sich da aufreiben, nach welchen Regeln die Amazonen nehmen und abstoßen, und inwiefern der Liebesrausch Penthesileas, von dem unablässig die Rede ist, sogar ein Produkt der Gesellschaft sein soll, wie es die Regisseurin im Programmheft-Interview andeutet, all das bleibt einem schleierhaft. Man versteht bei den Formationsübungen kaum, worum es geht.

Nach der Pause dann allerdings schon, weil jetzt nicht nur Truppen aufeinander losgelassen werden, sondern die Liebenden zu zweit sein und für zehn, fünfzehn Minuten das tun dürfen, was Liebende eben so tun: Sich anstaunen, zögern, aufeinander zufliegen und ungläubig zurückweichen (Bist du’s? Wer bist du?). Anja Schneider und Michael Klammer zeigen das anrührend, selbstredend auch hier mit akkurat eingehaltener Rollenverteilung: beseelter, zarter sie und mit der Grobheit des Überforderten er.

Es ist eine kleine, bewegende Liebesgeschichte von – wie so oft am Gorki-Theater – frischer Impulsivität. Aber sie hat nie Kleists Wucht. Auch fürs Überfließende und Tiefe ist an diesem Abend das Requisit zuständig. Als Zeichen rauschhafter Verbundenheit müssen die beiden in einem Wasserkanister mit den Ausmaßen eines Planschbeckens tollen.

Ein paar Schritte näher ans verführerisch saugende innere Dunkel sollte man sich schon trauen, wenn man Penthesilea auf die Bühne bringt.

wieder am 26.10, 1. und 13. 11.

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