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Amsterdam: Liebe, Küsse, Bisse

Comeback des Großmeisters: Peter Konwitschny inszeniert "Salome". Die frohe Botschaft vorweg: Er kann’s noch – und er tut es wieder.

Peter Konwitschny, einer der bedeutendsten Musiktheaterregisseure der achtziger, neunziger und frühen zehner Jahre, einer der raren Ostkünstler zudem, die aus dem Wendegeschehen politisch-poetisch weithin leuchtende Funken schlugen, ist wieder da. Seit seinem Berliner „Land des Lächelns“ an der Komischen Oper 2007 hat er nichts mehr neu inszeniert. Wiederaufnahmen zwischen Barcelona und Tokio traten an die Stelle (und auf der Stelle), die schlimmsten Befürchtungen kursierten. Dass einer wie er sich an einer Welt der kaltschnäuzig abgeschafften Utopien und lähmend-lärmenden Fortschrittsdiktate erschöpft, konnte man sich vorstellen. Vier Jahre lang, so vertraute Konwitschny jetzt der holländischen Presse an, habe er unter einer schweren Depression gelitten. Von seiner Amsterdamer „Salome“ hing also viel ab.

Die Szene zeigt einen Bunker, Schuhschachtel gewordene Ausweglosigkeit (Ausstattung: Johannes Leiacker). Schmuddelwände und geborstene Oberlichter lassen vermuten, dass es draußen auch nicht besser oder heiler zugeht. Die Entourage um König Herodes hält an einer langen Tafel ihr böses letztes Abendmahl ab, und wie Konwitschny (sich) deren Kaputtheiten ausmalt, damit müsste man eigentlich ein Problem haben. Herodes, der sich alle zehn Minuten einen ungelenken Schuss setzt? Herodias, seine Gattin, die es sich entweder von einem unterm Tisch oder von mehreren auf dem Tisch besorgen lässt? Die Juden, die sich mit rollenden Augen und rutschenden Hosen zu einer Massenvergewaltigung des toten Naraboth anschicken? Oje. Diese Art des Bühnenprekariats kennt man zur Genüge, gerne auch noch drastischer im Einsatz der diversen Körpersäfte. Mit und ohne Musik.

Dass Konwitschny sich bei seinem Comeback nicht als später großer Bruder eines Calixto Bieito entpuppt, liegt daran, dass er das Gezeigte als Gezeigtes bewahrt, am Herstellungs-, ja Ausstellungscharakter des Ganzen also keinen Zweifel lässt. Dieses Operngeschehen spiegelt nicht Realität, nicht Echtheit vor, es ist selber echt und real – nämlich Kunst, ein ins Bildhafte und damit ins Brutale, Perverse, Enthemmte gesteigertes Als-ob. Jeder Koitus bleibt hier lachhafte Rammelei, jeder Messerstich zielt weiträumig ins Leere. Vielleicht muss man als Regisseur auch 2009 noch von Brecht her kommen, um darin handwerklich so sicher zu sein und gleichzeitig so einfältig, augenzwinkernd naiv. Am Ende von Salomes berüchtigtem Schleiertanz kriecht ein kleines Mädchen unter der völlig verwüsteten Tafel hervor, ein blondes Englein im weißen Kleid, die Prinzessin als Kind, und spielt mit ihrem erwachsenen Alter Ego Blinde Kuh. Es ist alles nur ein Spiel, sagt diese Geste und: Die Hoffnung, die Utopie stirbt natürlich zuletzt. Die Türrahmen, die Konwitschny seine Protagonisten zuvor mit Kohlestiften an die Wände hat malen lassen, irgendwann werden sie sich öffnen.

Überhaupt packt sich diese Aufführung permanent selber beim Schopf – und erst darin zeigt sich die Musikalität, mit der Konwitschny in Richard Strauss’ völlig enthemmte, brutal rücksichtslose und brutal sinnliche Partitur eindringt. Wo der junge Strauss alle Gesetzmäßigkeiten und Dimensionen des bürgerlichen Musikdramas nach Wagner außer Kraft setzt, indem er das bürgerliche Publikum durch die Schönheit der Musik zu einem Blick unter die eigene Bettdecke verführt, ins Reich der Freudschen Traumata und Triebe, da macht Konwitschny gut 100 Jahre später mit den beiden Außenseitern Salome und Jochanaan Ernst. Strauss bricht mit den kulinarischen Reflexen des Genres Oper; Konwitschny bricht mit dem Reflex, dass Theater nur dann kritisch sei, wenn es die sogenannte Gesellschaft bei der Beseitigung alles Störenden, Verstörenden ertappe. Das Leben ein Spiel? Weder Jochanaan noch Salome – „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes“ – sterben in Amsterdam am Ende.

So hockt Jochanaan alias Johannes der Täufer von Anfang an mit an der Tafel. Ein Trumm von einem Kerl, wenig appetitlich anzuschauen mit seinem Schlabberhemd und der albernen Papiertüte auf dem Kopf (Albert Dohmen gibt ihn mit glühender Verzweiflung im Bariton). Der Intellektuelle als Hampelmann, des Wesens und Sagens und Mahnens längst überdrüssig. Was er sagt, ist ohnehin egal, wichtig ist, dass da überhaupt noch einer existiert, der meint, öffentlich sprechen zu müssen.

Wenn also Salomes Blick auf dieses Tütenhaupt fällt, dann ist es, nach Konwitschny, nicht etwa die übliche Décadence und Lebenslangeweile einer pubertären Göre, die das Ungeheuerliche fordert, nämlich den Kopf des Propheten, sondern dann ist das nichts anderes als das Ereignis der Liebe, die größtmögliche aller Provokationen. „Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan“, diese Phrase, an der Salome sich wie manisch wund singt und frisst, lässt sich auch ganz wörtlich verstehen. Schade, dass die schwedische Sopranistin Annalena Persson in ihrem Rollendebüt bei aller stimmlichen Bravour und darstellerischen Attraktivität nicht etwas mehr Textverständlichkeit zu bieten hatte.

Selbst Herodes’ verderbter Hofstaat weiß darum, spürt, dass hier die Rettung, die Befreiung läge: In einer Traumsequenz (Licht: Manfred Voss) wird der Prinzessin kollektiv an die Wäsche gegangen, ein wüstes Hauen und Stechen in Zeitlupe als einzige noch praktikable Teilhabe an menschlicher Leidenschaft und Lust.

Sicher ist es ein wenig zu viel des Guten und der Deutlichkeit, wenn die Frauen (Doris Soffel als aasig geifernde Herodias, Barbara Kozelj als Page) gleichsam aus dem Spiel heraus und vor den Vorhang gespült werden, bevor Salome sich Herodes’ Willen fügt und für ihn tanzt (so schmierig wie bedauernswert in seiner Kreatürlichkeit: Gabriel Sadé). Oder wenn zu den letzten Schlägen im Orchester, typisch Konwitschny, das Saallicht angeht und ein empörter „Zuschauer“ aus der zweiten Reihe die berüchtigten letzten Worte der Partitur in den Saal schreit: „Man töte dieses Weib!“.

Das Finale aber und wie Konwitschny das Stück buchstäblich in sich selbst umdreht, das macht Gänsehaut. Hier erst versteht man, warum Stefan Soltesz am Pult der Niederländischen Philharmoniker den Abend über so zart agiert, geradezu kammermusikalisch feinsinnig, mit Wiener Untertönen, als ahnte er mindestens den „Rosenkavalier“ voraus. Während die ramponierte Schuhschachtel in den Bühnenhintergrund fährt und Herodes und Herodias sich ans Aufräumen machen, fallen sich Salome und Jochanaan vorne glückselig in die Arme. Ein letztes Aufrauschen des Liebesmotivs (wer dächte da nicht an Wagners Sieglinde!), ein letztes „Allein, was tut’s?“, schon stieben die beiden auf und davon.

Die Musik gibt diesen Schluss allemal her. Und die Enthauptung des Propheten? War auch nur ein Als-ob, ein Theatertrick, nichts als eine Drohung aus Ochsenblut und Pappmaché, die irgendwann wieder im Schnürboden unserer Sehnsüchte und kühnsten Träume entschwindet.

Christine Lemke-Matwey

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