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Intendantin Kirsten Harms: Addio Fidelio!

800.000 Euro Schulden, Haushaltssperre, Ängste: Die Deutsche Oper in Berlin steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Für Intendantin Kirsten Harms ist die Schmerzgrenze erreicht.

Frau Harms, wie ist die Stimmung im Haus, seit bekannt wurde, dass die Deutsche Oper das Jahr 2008 mit einem Defizit von 800.000 Euro abgeschlossen hat?



Wir befinden uns im absoluten Ausnahmezustand. Wobei wir ja schon seit Oktober wissen, dass uns diese nachträgliche Rentenrückzahlung erwartet. Und genauso lange arbeiten wir an einer Lösung.

Wie sieht die aus?

Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Wir müssen unsere Investitionen auf null fahren, wir besetzen derzeit keine Stellen mehr nach, weder im künstlerischen noch im nichtkünstlerischen Bereich, wir denken über die Kürzung von Stellen im Orchester und im Chor nach, wir konnten für „Carmen“ im März nach Jürgen Goschs kurzfristiger Absage kein neues Regieteam verpflichten – und wir haben die geplante Eröffnungspremiere der Spielzeit 2009/10 gestrichen, einen neuen „Fidelio“. Das finde ich persönlich ganz besonders bitter.

Weil es der Kunst ans Mark geht?

Wenn Sie so wollen, dann geht jede einzelne Maßnahme der Kunst ans Mark, jeder Techniker, den ich auf der Bühne brauche und nicht weiter beschäftigen kann, jede Aushilfe im Orchester, die kein Probengeld bekommt. Nein, Dirigenten, Regisseuren, Sängerstars, die man engagiert hat, mitzuteilen, wir müssen aus wirtschaftlichen Gründen vertragsbrüchig werden, das widerstrebt jedem Intendanten. In der Not mag es keine Alternative geben. Aber Methode darf das nicht werden. Die Deutsche Oper hat einen Ruf zu verlieren, sie muss ein verlässlicher Partner bleiben. Den Künstlern wie ihrem Publikum gegenüber.

Wann und wo ist für Sie die Schmerzgrenze erreicht?

Hier und jetzt. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Das ist insofern besonders schlimm, als wir mit den uns zur Verfügung stehenden Subventionen von 37,8 Millionen Euro gerade im vergangenen Jahr hervorragend gewirtschaftet haben. Wir konnten 40.000 bis 50.000 Zuschauer mehr verzeichnen, ein absoluter Besucherrekord – und wir kommen mit diesem Geld aus. Die 20 Millionen Euro Aufstockung für die Opernstiftung Anfang 2008 waren der Durchbruch. Um es noch einmal zu unterstreichen: Das bedeutet nicht, dass wir mehr Geld in der Kasse haben. Aber es heißt, dass wir die im Opernstrukturgesetz verankerten Zuschussabschmelzungen nicht leisten müssen, mit denen wir nie hätten leben können. Komische Oper und Staatsoper übrigens auch nicht.

Haben Sie sich mit der China-Reise, mit den Gastspielen von Marinsky-Theater und „Porgy und Bess“ ökonomisch zu sehr aus dem Fenster gelehnt?

Wir waren 2008 enorm produktiv und haben viel riskiert. Für das Haus war das wichtig.

Was sagt Klaus Wowereit zu der Misere, in seiner Funktion als Regierender Bürgermeister, Kultursenator und Vorsitzender des Stiftungsrats?

Wir führen sehr intensive, konstruktive Gespräche. Außerdem hat der Stiftungsrat einen Finanzausschuss gebildet.

Verfügt die Opernstiftung über die richtigen Instrumente, um ein solches Loch zu stopfen?

Das wird geprüft. Wenn überhaupt, dann könnte es ja nur in Richtung einer Umverteilung von Mitteln unter den Opernhäusern gehen. Das ist heikel: Zum einen betrifft der aktuelle Versicherungsfall nur uns als eine im Westen angesiedelte Institution. Zum anderen brauchen die anderen beiden ihr Geld, gerade die Staatsoper, wenn sie 2010 ins Schillertheater zieht.

Die Politik sagt, kannibalisiert euch gefälligst gegenseitig?

Das Grundproblem besteht doch darin, dass die Kunstbetriebe von der allgemeinen Tarifentwicklung abgekoppelt wurden. Wir leben in einer Wachstumsgesellschaft, alles wird immerzu teurer, und ausgerechnet zu den Theatern sagt man, schneidet euch das Geld aus euren eigenen Rippen, nur weil Kunst als „freiwillige Leistung“ gilt? Hier müssen wir gesellschaftlich zu einem anderen Verständnis kommen. Sonst ergeht es unserer Kulturlandschaft wie der Insel Sylt: Nach jeder neuen Sturmflut verschwindet ein Stück Land mehr.

Kann oder will das Land Berlin daran etwas ändern?

Das müssen Sie Herrn Wowereit und Herrn Sarrazin fragen.

Wie sieht die Perspektive für die Deutsche Oper aus, wenn die Rahmenbedingungen bleiben, wie sie sind?

Schlecht. Alle Tarifsteigerungen zusammen genommen und die von uns geforderte Risikorücklage für die Werkstätten mit eingerechnet, bedeutet das für 2010 eine Mehrbelastung von 1,6 Millionen Euro. Außerdem haben wir VW nicht mehr als Sponsor. Hochgerechnet auf 2011 hieße das, dass wir höchstens zwei bis drei eigene Neuproduktionen herausbringen könnten. Wir besetzen Stellen nicht nach. Auf Dauer führt das zu Substanzverlust.

Welche Hoffnungen setzen Sie in Peter F. Raddatz, den neuen Generaldirektor der Opernstiftung?

Genau so viele wie in seine beiden Vorgänger. Aber man darf die Psychologie nicht unterschätzen. Das sehen wir doch an der Finanzkrise. Ein neuer Mann bringt immer auch neue Energien mit. Oft hängen Entscheidungen am richtigen Ton zur rechten Zeit.

Bereuen Sie es, nach Berlin gegangen zu sein?

Was für eine Frage, natürlich nicht! Die Deutsche Oper wird auch heute mit den großen Häusern wie München, Wien und Paris verglichen und an ihnen gemessen – nur das wir bei weitem nicht so feudal ausgestattet sind. Dieser Zerreißprobe müssen wir uns immer wieder neu stellen. Vor Oktober 2008 dachten wir eigentlich, wir hätten es geschafft ...

Verglichen mit dem milliardenschweren Konjunkturprogramm, das die Bundesregierung gerade verabschiedet hat, muten 800.000 Euro Schulden fast lächerlich an.

Gute Idee, wo bleibt in diesem Programm eigentlich die Kultur? Die Deutsche Oper schafft auch Arbeitsplätze. Wir versorgen Reinigungen mit Aufträgen, die Gastronomie und die BVG profitieren von uns, und sogar die Autoreifen werden abgefahren, wenn man uns häufig besucht.

Das Gespräch führte Christine Lemke-Matwey.

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