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Pollesch

© dpa

Interview: Im Chor der Egoisten

Der Theatermacher René Pollesch spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Rezessionstheater, bequeme Kapitalismuskritik - und sein neues Prater-Stück.

Herr Pollesch, schon vor einigen Jahren sagte ein Figur in einem Ihrer Theaterstücke den gruseligen Satz „Ich habe mich für die Bedürfnisse des Marktes zurechtgeschnitten.“ Was passiert in der Rezession mit Menschen, die ihr Selbstbewusstsein durch ihren Status definiert haben – und auf einmal brechen Karriereplanungen und Sicherheiten weg?



Es brechen ja nicht nur Sicherheiten am Arbeitsmarkt weg, sondern zum Beispiel auch der Konsumbefehl, dass man jetzt unbedingt in die Suburb ziehen und sich mit billigen Krediten ein Haus kaufen muss, das man sich nicht leisten kann. Dieser Konsumbefehl hat die Subprime-Krise ausgelöst. Ich weiß nicht, was mit solchen Leuten passiert – Subjekten, die sich durchökonomisiert haben und sich im Prinzip nur fragen, wie sie sich auf dem Markt halten können. Ich habe das in einer radikalisierten Form kennengelernt. Ich sollte ein Stück in New York machen, das dann nicht zustande kam, und mir begegnete in den Gesprächen eine Art von Kommunikation, in der es nur noch um Kalkül ging. Da vermisse ich dann doch eine altmodische Form von Integrität. Aber in unseren letzten Arbeiten geht es eigentlich nicht mehr um die Beschäftigung mit diesen durchökonomisierten Subjekten.

Ist das politische Theater, das zum Beispiel in den Inszenierungen von Volker Lösch mit frontaler Polemik kapitalismuskritische Sentenzen zum besten gibt, ein Krisengewinnler?

Es gibt im Theater eine Kapitalismuskritik, die immer mit Moral operiert und sich selbst per se für moralisch integer hält, Kapitalismuskritik als Business. Das Theater benutzt Ressentiments, zum Beispiel gegen Banker, um sich gegen die eigene Überflüssigkeit zu wehren. Das ist ein Theater, das die Themen, die gerade en vogue sind, aufgreift und damit Bedürfnisse befriedigt, zum Beispiel das Bedürfnis, moralisch auf der sicheren Seite zu stehen. Alle nicken das ab und freuen sich.

Theater als Selbstbestätigungsnummer?

Genau, das stiftet ein Gemeinschaftsgefühl. Das ist opportunistisch und bequem, solange das Theater sich dabei nicht selbst verändert und Kritik nur benutzt, um die eigene Existenz zu legitimieren. Künstler und Theatermacher neigen dazu, ihre eigene Praxis zu übersehen. Sie stellen ihre Produktionsweise nicht infrage und definieren sich nur über Produkt und Markterfolg. Man macht scheinbar kapitalismuskritische Theaterstücke, praktiziert aber in der eigenen Arbeit gegenüber Assistenten, Schauspielern, Praktikanten, Chormitgliedern Ausbeutungsverhältnisse. Man übersieht die Widersprüche, in die man verwickelt ist, und stellt sich auf irgendeine Künstlerposition. Daran finde ich besonders interessant, dass das in aller Unschuld passiert, nicht zynisch und bewusst. Thematisiert man die Diskrepanz zwischen der scheinbar politischen Aussage auf der Bühne und den Produktionsverhältnissen, stößt man auf echtes, ungeheucheltes Erstaunen.

Die Banker, die sich mit Millionenboni bereichert und riesige Vermögenswerte vernichtet haben, handeln natürlich unmoralisch. Was haben Sie gegen moralische Kapitalismuskritik?

Das Problem ist nicht die individuelle Moral, das Problem sind die Produktionsverhältnisse, auch im Theater. Das ist eine Gegenposition zu der Annahme, das Problem sei die individuelle Raffgier, nicht der Kapitalismus an sich. Wenn man sich im Theater über irgendwelche Banker empört und glaubt, mit dieser Empörung hätte man irgendwas ausgerichtet, ist das verlogen. Es ist nicht geheuchelt, aber nichtsdestoweniger verlogen.

Wie kann das Theater dieser Verlogenheit entgehen?

Das Problem ist, dass beim Theater immer nur abgecheckt wird, war die Aussage jetzt ein Erfolg oder nicht? Wenn ich im Theater sage, ich bin gegen den Kapitalismus, wird diese Aussage nicht gehört, es wird nur festgestellt, wie viel Erfolg ich damit habe – Theatertreffen oder nicht, zum Beispiel. Die eigentliche Aussage ist der Karrierestatus. Vielleicht würden die Aussagen des Theaters erst dann wieder gehört, wenn es keinen Markt gäbe, auf dem man ökonomisch scheitern kann, und wenn sich Künstler nicht als Einzelkämpfer hinstellen müssten, die mithilfe der Bankenkrise ihre Karriere vorantreiben. Wenn Volker Lösch in Stuttgart ein Stück mit Migrantinnen macht, ist doch die interessante Frage, wie er jenseits der Theaterhierarchie zu einer Kooperation mit diesen Frauen kommen könnte. Und genau das scheint ihn und viele andere nicht zu interessieren, sondern nur die Herstellung eines Produkts, für das diese Frauen Mittel zum Zweck sind. Künstler reproduzieren in ihrer Arbeitsweise genau die Verhältnisse, die sie angeblich kritisieren.

Heißt das, die Botschaft des politischen Theaters eines Volker Lösch ist: Ich bin eingeladen zum Theatertreffen, ich bin ein Gewinner, egal, was für Chöre von Sozialverlierern ich aufmarschieren lasse?

Ja, absolut. Aber eben nicht nur bei ihm.

Wenn Sie die hierarchischen Produktionsweisen im Theater kritisieren, wie organisieren Sie denn selbst Ihre eigenen Inszenierungen?

Ich würde sagen, ich bin ein Dienstleister der Schauspieler. Ich bin kein Regisseur, ich bin der Dienstleister von Sophie Rois.

Weshalb arbeiten Sie diesmal mit einem Chor – und machen ihn zum Titelhelden des Stücks „Ein Chor irrt sich gewaltig“?

Die Idee kam von zwei Schauspielerinnen, Sophie Rois und Christine Groß. Es gab kein Casting, das lief über Bekanntschaften und Freunde von Freunden, auch, weil vielleicht jemand gerade einen Job brauchte. Das ist nicht die Vision eines einzigen originären Künstlers, der dann der Regisseur ist, dessen Name auf dem Besetzungszettel steht. Die Schauspieler stehen als Teil eines sozialen Netzwerkes auf der Bühne, nicht als meine Produkte. Die Idee, mit der man immer auf Theater schaut, dass der Regisseur den Schauspielern sagt, was sie zu tun haben – das interessiert mich nicht. Ich meine das wirklich so: Ich bin der Dienstleister von Sophie Rois. Das ist ganz egoistisch.

Weshalb ist das egoistisch?

Ich bin nicht gut, wenn ich eine Idee durchsetze, sondern wenn alle Beteiligten Raum haben. Ich will kein Chef sein und die Idee des vereinzelten Künstlers bedienen. Dafür bin ich zu egoistisch. Es gibt nichts Egoistischeres als faire Kooperation, einfach weil es mir damit besser geht und weil nur so das Ergebnis mit mir und allen anderen Beteiligten etwas zu tun hat. Es geht zum Beispiel darum, den Vorwurf an mich als Regisseur, der immer kommt – du bist nur gut mit deinen Schauspielern – nicht als Diffamierung aufzufassen, sondern zu sagen: klar, genau. Theater ist nur politisch, wenn es an diesen Formen der Kooperation arbeitet und die Chefposition des Regisseurs infrage stellt.

Worum geht es in Ihrem neuen Stück im neu eröffneten Prater?

Tatsächlich um eine Kritik an einer bestimmten unangemessenen Form von Kapitalismuskritik im Theater.

Wenn man sich auf Karriere und Sozialstatus nicht mehr verlassen kann, werden dann andere Formen der Kooperation jenseits der Marktkonkurrenz interessant – oder ist Ihnen das zu romantisch?

Das ist überhaupt nicht romantisch. Der Irrtum des Sozialdarwinismus ist ja gerade, zu glauben, Gesellschaft, Evolution funktioniere dadurch, dass der Stärkere sich durchsetzt. In Wirklichkeit geht es um Kooperation, nicht nur sozial, auch biologisch. Der Evolutionsbiologe Merezhkowsky beschreibt Evolutionsprozesse so, dass die Verbindung einer bestimmten Bakterie mit einer bestimmten Pflanzenzelle eine Tierzelle ergibt. Rein biologisch ist Kooperation Basis der Evolution. Das ist nicht romantisch. Kooperation ist stabiler als Konkurrenz.

Interview: Peter Laudenbach

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