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Lange Nacht: Bühnen frei für die Lange Nacht

Freie Wahl zwischen Parkett und Rang: Der Andrang war groß bei Opern und Theatern in der Langen Nacht. Ob in der Staatsoper, dem Maxim Gorki Theater oder im HAU, fast überall war es schwer, noch einen Platz zu ergattern.

Berlin, so ruft Staatssekretärin Barbara Kissler vom Aufgang der Staatsoper über den belebten Bebelplatz ins Mikro, das sei ja „eine Stadt der Aufgeregtheiten, der Ungereimtheiten, der Verrücktheiten“ – und insofern sei hier jeder Tag Theatertag. Aber dieser, der sei natürlich ein ganz besonderer. Da übertreibt sie nicht, die Chefin der Senatskanzlei, die Grüße vom Regierenden Bürgermeister übermittelt. Berlin ist soeben Kulturhauptstadt geworden, zumindest für diesen Samstagabend, für diese 1. Lange Nacht der Opern und Theater. Mögen auch nebenan Pro-Reli-Demonstranten ihre letzten Reserven mobilisieren, vor diesem Ereignis treten all die anderen Berliner Fragen vorübergehend in den Hintergrund, und der einzig gültige Slogan lautet: Pro Theater!

„In der Nacht ist der Mensch nicht gern allein“, singt Kissler gutgelaunt, eine letzte Einstimmung, dann folgt ein Böllerschuss nebst Glitzerregen, und die Massen aus Berliner Theaterfreunden und multinationalen Kulturtouristen schwärmen vom Epizentrum Bebelplatz aus, um die 51 teilnehmenden Bühnen zu erkunden, die im Viertel- bis Halbstundentakt Einblick in ihr Programmprofil geben.

Vor dem Eingang der Staatsoper stauen sich sogleich die Massen, auch das nahe Maxim Gorki Theater ist augenblicklich voll, ins Theater am Palais wagen die Menschen sich zunächst vorsichtiger, mit mehr Pioniergeist im Gesicht, „Warst du hier schon mal?“, flüstert eine Dame ihrer Begleitung zu – aber dann finden immer mehr ihren Weg, um zunächst das Ensemble dieser charmanten Bühne kennenzulernen und eine Wilhelm-Busch-Revue zu erleben.

Auch die vor der Staatsoper parkenden Shuttle-Busse, die von der BVG zur Verfügung gestellt wurden und in sieben nummerierten Routen die ganze Stadt durchkreuzen, sind kurz nach Startschuss bereits überfüllt. „Wohin fahren Sie eigentlich?“, werden die Busfahrer oft gefragt, „Na, lassen Sie sich doch überraschen“, scherzt einer auf der Route 4. Eigentlich keine schlechte Idee, Wundertütenprogramm. Aber es gibt ja noch Ben, den Busbegleiter. Der sagt über Bordmikro den Entdeckungslustigen die kommenden Attraktionen an, in diesem Fall das Off- Theater Eigenreich an der Greifswalder Straße, wo gerade Volker Gerling ein Daumenkino-Programm zeigt – vor vollem, überbordend fröhlichem Saal.

Der Grundgedanke der Langen Nacht, die Aufhebung der Kluft zwischen Hochkultur und Kleinkunst, großen und kleinen Bühnen, er funktioniert. Die Neugier auf die freie Szene ist genauso groß wie der Run etwa auf den Admiralspalast, wo man um 20 Uhr bereits ganz nach oben in den Rang geschickt wird. Mark Scheibe beginnt da gerade den zweiten Durchlauf seiner Berlin-Revue, „Wer von Ihnen war um 19 Uhr schon hier?“, fragt er in den Saal. Viele, viele Hände heben sich.

Am frühen Abend wagt Gabriele Miketta, Pressesprecherin der veranstaltenden Kulturprojekte Berlin, eine vorsichtige Schätzung: Wohl 20 000 Besucher könnten es werden, von überall wird Ansturm gemeldet. Derartiges habe sie bei der Langen Nacht der Museen noch nicht erlebt. Auch Kirsten Hehmeyer, Leiterin der Pressearbeit im Hebbel am Ufer und eine der Projektleiterinnen, erzählt, sie sei kaum vom Bebelplatz abgefahren, da habe man ihr schon gemeldet: HAU 1 und HAU 2 voll. Bei Miketta sind sogar bereits Beschwerden eingegangen von Besuchern, die in einzelne Häuser nicht mehr hineinkamen. Von einem Theatervirus, mit dem Berlin sich infizieren möge, hatte Barbara Kissler gesprochen. Tatsächlich, überall sieht man Menschen mit dem grünen Programmheft in der Hand. Das Virus grassiert. Patrick Wildermann

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