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Maxim Gorki Theater: Vermauern tut gut

Ulbricht spricht mit Chruschtschow: Das Stück "Vermauern" im Maxim Gorki Theater Berlin ist ein konzentrierter, klug durchdachter Abend für Menschen, die es ganz genau wissen wollen.

„Welcher Termin ist der beste?“, will Ulbricht von seinem Kollegen wissen. Der lässt die Frage elegant an sich abtropfen: „Führt das durch, wann Ihr wollt, wir können uns jederzeit darauf einrichten.“ Den Tonfall muss man sich so beiläufig vorstellen, als handelten zwei Konzernchefs einen Zeitpunkt fürs nächste Routinemeeting aus.

Es sind aber die einstigen realsozialistischen Staatschefs Walter Ulbricht (DDR) und Nikita S. Chruschtschow (UdSSR), die hier zusammentreffen. Und hinter dem „Termin“ verbirgt sich nichts Geringeres als der Bau der Berliner Mauer. Der Dokumentartheater-Regisseur Hans-Werner Kroesinger hat im Maxim Gorki Theater ein Gespräch inszeniert, das die beiden am 1. August 1961 – also zwölf Tage vor Mauerbau – im Kreml führten. Zugrunde liegt ein bis dato unveröffentlichtes Dokument, das der Geschichtswissenschaftler Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut in Moskau gerade erst einsehen konnte. Da er bei der Lektüre auch höchst performative Qualitäten entdeckte, suchte er den Kontakt zum Maxim Gorki Theater. So erlebte das Dokument mit Kroesingers szenischer Lesung „Vermauern“ im Rahmen des „Geschichtsforums 1989/2009“ jetzt seine Erstveröffentlichung.

Da es in Kroesingers klugem Dokumentartheater nicht um die möglichst originalgetreue Nachstellung historischer Figuren in Fernsehmanier geht, sondern um die Herausarbeitung tiefer liegender Strukturen, lässt er das Gespräch von den Schauspielerinnen Judica Albrecht und Ana Kerezovic lesen. Die wandeln durch ihr eigenes Museum: Bühnenbildnerin Valerie von Stillfried hat in Vitrinen die Geschichte der Mauer dokumentiert.

Wiewohl der Mauerbau zum Zeitpunkt des Chruschtschow-Ulbricht-Treffens bereits beschlossen war, wirft das Gespräch ein hoc interessantes Licht sowohl auf die konkrete wirtschaftliche Lage der DDR 1961 als auch auf das Verhältnis und die taktischen Manöver der beiden Politiker. Vor allem beeindruckt der ideologieferne Pragmatismus, mit dem hier über ökonomische Probleme debattiert wird. „Zwei Monate lang gab es bei uns keine Kartoffeln zu kaufen. Das ist sehr schlecht“, rapportiert da etwa der Genosse Ulbricht beim Genossen Chruschtschow und macht das schlechte Wetter verantwortlich. Der Sowjet-Chef, dem eine schwere Obsession für Maisanbau nachgesagt wird, demütigt seinen ostdeutschen Kollegen daraufhin genüsslich mit der Geschichte vom fünf Meter hohen Getreidewuchs bei Moskauer Niedrigsttemperaturen: „Beim Mais bin ich Fachmann, Sie dagegen akzeptiere ich nicht als solchen.“

„Vermauern“ ist ein konzentrierter, klug durchdachter Abend für Menschen, die es ganz genau wissen wollen. Unglaublich wohltuend in Zeiten von Infotainment und Geschichtspop! Ein Glücksfall, dass der Abend in der nächsten Gorki-Spielzeit wieder zu sehen ist.

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