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© dpa

Nachruf: Gisela Stein: Die Königin

Wer sie am Schiller-Theater erleben durfte, hat sie nie vergessen: Die Schauspielerin Gisela Stein war eine große Tragödin, ihr Auftritt messerscharf und modern. Am Montag ist sie im Alter von 74 Jahren gestorben.

Neunzehn Jahre lang war sie im Ensemble der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin, dann ging sie, es war im Jahr 1979, nach München, und hinterließ eine nicht zu schließende Lücke. Wer sie hier noch erleben konnte, am Schiller-Theater, hat sie nie vergessen: Gisela Stein besaß den so kostbaren wie seltenen hohen Ton der Tragödin, und dabei war ihr Auftritt, ihre Sprache messerscharf und modern und von mitreißender Unbedingtheit. Sie spielte in Inszenierungen von Fritz Kortner, Niels-Peter Rudolph und vor allem Hans Lietzau die großen klassischen Rollen: die Ranewskaja in Tschechows „Kirschgarten“, aber auch die Emma in Harold Pinters „Betrogen“.

Der Niedergang der West-Berliner Staatsbühnen blieb ihr erspart. An den Münchner Kammerspielen wurde sie die Protagonistin in so vielen herausragenden Regiearbeiten des Intendanten Dieter Dorn. Sie war Goethes Iphigenie, die Helena in Shakespeares „Troilus und Cressida“, die Winnie in Becketts „Glücklichen Tagen“, die Anita von Schastorf im „Schlusschor“ von Botho Strauß, jenem frühen und einsam gebliebenen Stück über die deutsche Wiedervereinigung. Mit ihr wagte Alexander Lang das Antikenprojekt, in dem sie Kleists Penthesilea und Racines Phädra verkörperte. Gisela Stein verstand es, Mythen zu analysieren, mit ihrer preußische Strenge und Intellektualität arbeitete sie sich zum Ursprung des Dramas.

Ihren Schauspielhäusern und Regisseuren hielt sie eine heute kaum mehr denkbare Treue, und sie ging einem Streit mit Regisseuren nie aus dem Weg. Dem Ensemble der Münchner Kammerspiele gehörte sie über zwanzig Jahre an, dann wechselte sie mit Dieter Dorn ans Bayerische Staatsschauspiel. Kaum einmal, dass sie in Filmen wie „Deutschland bleiche Mutter“ oder im Fernsehen zu sehen war. Gisela Stein betrachtete das Theater als ihre Heimat, und auch in dieser Ausschließlichkeit gehörte sie einer anderen Zeit, einem anderen Zeitempfinden an.

Am 4. Mai ist Gisela Stein in ihrem Heimatort Mohrkirch im Alter von 74 Jahren gestorben. Die Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied sie seit 1981 war, erinnert an eine Schauspielerin von „signifikantem Arbeits ethos“ und einer „außergewöhnlichen Sprachkultur.“ Rüdiger Schaper

Rüdiger Schaper

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