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© dpa

Oper: Max im Licht

Pfingstfestspiele Baden-Baden: Robert Wilson und Thomas Hengelbrock illuminieren Webers "Freischütz".

Am witzigsten ist prompt der Jägerchor: Lauter Maxe und Moritze, nachdem man sie beim Bäcker aus dem Mehl gezogen hat, so säumen die Choristen des Philharmonia Chors Wien die Rampe. Weiße Lederhosen, weiße Leibchen, weiße Stulpen, papstrot glänzendes Schuhwerk. Da stehen sie und singen, Joho! Tralalala-la!, von blutigen Ebern und männlich’ Verlangen, von Hörnerschall und Jagdgöttinnen – und lassen die Bizepse spielen.

Schon in der Romantik, nun ja, war der Mann als Mann eher simpel gestrickt. Und der Jägerchor aus Carl Maria von Webers „Freischütz“ (neben dem „Jungfernkranz“ zwei Szenen zuvor) ein rechter Gassenhauer. Lustig, wie den Weißlingen jeweils am Strophenende Saft und Kraft ausgehen, wie die Arme sinken und einzig die Musik ihre Körper neu elektrisiert.

Die Baden-Badener Pfingstfestspiel-Besucher nutzen diesen Chor, um ein bisschen Stimmung zu machen. Die Nummer ist ja rhythmisch genug (und die von Dirigent Thomas Hengelbrock eigens eingesetzten historischen Hörner sorgen für nadelstichfeine Präzision), also wird erst zögerlich, dann beherzt mitgeklatscht. Die deutsche romantische Oper, deren Tümlichkeit und Innigkeit und abgründiger Biedersinn unser Weltempfinden höchstens noch peinlich berühren, als schunkelige Publikumsbelustigung, als postpostmoderne Katharsis?

Nun hat Intendant Andreas MölichZebhauser das Regie-Unikum Robert Wilson sicher nicht verpflichtet, weil es ihm ums Politische oder Tiefenpsychologische ging. Im Gegenteil. Freud hin, Dreißigjähriger Krieg her (an dessen Ende die Geschichte spielt): In Baden-Baden liebt man’s entweder konventionell – wie bei den Gastspielen des Marinskij-Theaters und unlängst auch beim Thielemann-„Rosenkavalier“ – oder eben schön knallig- poppig bunt. „Der Freischütz“ als Comicstrip und Glitzerrevue, als geschmäcklerische Lichtspielszene (technisch von allen Bühnengewerken virtuos umgesetzt!) – dafür sind Wilson und seine Kostümbildner, das Modedesigner-Duo Viktor & Rolf, zweifellos die Richtigen. Und das lässt man sich gerne etwas kosten. 150 000 Swarowski-Kristalle sollen für die Aufführung verarbeitet worden sein.

Die Frage aber, die sich immer stellt – ob das System Wilson nun dem Stück dient oder die Stücke zur Illustration des Systems Wilson herhalten –, diese Frage lädt sich in Baden-Baden mit einiger Brisanz auf. Erhellt es das Geschehen und die Musik, lässt es, wie Wilson sagt, „die Augen hören und die Ohren sehen“, wenn Max mit seiner Sperrholzflinte wie ein chlorophyllgrüner Papageno in den Ecken steht, ein Unglückswurm von einem Liebhaber, in flagranti erwischt, der aus dem rettenden Gummibaum einfach nicht mehr herausfindet? Hilft es, wenn Agathe, eine in üppigstes, blumigstes Geschenkpapier gewickelte Käte-KrusePuppe, zur Bewegungslosigkeit verdammt bleibt? Oder ist dies, pardon, nicht doch nur Selbstbefriedigung, Onanie, der schnelle Griff in Bobs heilige Theaterkiste? Dass der böse Samiel (Ronald Spiess) mit schwarzer Tolle und flammendem Brustpanzer als Wiedergänger von Wilsons legendärem „Black Rider“ auftauchen würde (der Musical-Version des „Freischütz“, 1990 in Hamburg), war ohnehin zu erwarten.

Bei allem Prätentiösen, Überästhetischen freilich gelingt Viktor & Rolf auch erstaunlich Differenziertes. Dass Samiels Handlanger Kaspar drei Akte lang unter einer enormen güldenen Kette ächzt, ist nicht nur ein schönes Bild für den Verkauf seiner Seele. Es sorgt auch dafür, dass man musikdramatisch weiter denkt, bis hin zu den Riesen in Wagners „Rheingold“ und wie sie die Göttertochter Freia in Gold aufwiegen. Und wenn Ännchens durchbrochene Robe etwas von Charleston-Kleid und zwanziger Jahren hat, dann heißt das, dass sie allen Blondchens und Susannas längst entschlüpft ist und ihrer Zeit weit voraus. Ebenfalls hübsch: die Brautjungfern in mannshohen weißen Vogelbauern, als hätten sie sich kopfüber in die Krinolinen ihrer Biedermeierröcke gestürzt.

Der Trick ist alt, aber er funktioniert. Frage: Was bleibt übrig, wenn man alle Kostüme und alles Strassfunkeln weglässt? Szenisch nicht eben viel, aber das ist seit jeher Wilsons Überzeugung, dass der Mensch im Licht Ausdruck, Kunst, Theater, Erkenntnis genug sei. Entsprechend wird vor den gewohnt sparsamen Laubsägebäumen, -häusern und -blitzen seines Bühnenbilds sehr bedeutungshuberisch verharrt und herumgestanden. Und wenn sich mal etwas bewegen sollte, dann nur abgezirkelt: hier ein paar klimpernde Wimpern und ein geschürztes Mündchen, da ein einsam abgewinkelter Unterschenkel. Die Frau als solche darf auch gerne trippeln. Man sehnt sich nach Achim Freyer zurück, 1980 in Stuttgart, der solche Stilisierung noch ins Böse, Bemitleidenswerte zu wenden verstand.

Sänger, die ungestört geradeaus singen – welcher Dirigent klatschte da nicht in die Hände. Mit dem Mahler Chamber Orchestra im Graben indes hat der Alte-Musik-Spezialist Thomas Hengelbrock sich einen Klangkörper eingehandelt, der ihn vor eine doppelte Herausforderung stellt. Zum einen wird auf modernem Instrumentarium gespielt (mit Ausnahme der Hörner, wie gesagt, und der Flöten), alles Rhetorische versteht sich also weit weniger von selbst als bei Hengelbrocks Balthasar-Neumann-Ensemble; und zum anderen dürften romantisches Waldweben und deutsche Tiefe diesem Orchester kaum in die Wiege gelegt worden sein.

Das Ergebnis ist zwiespältig. Der Klang legt Risse und Rauheiten an den Tag, man hört einiges, was man so sonst nicht hört: nagende Bratschen-Akzente etwa und schrille Flötentöne in der Ouvertüre, generell mehr Mittelstimmen und Grummeln im Unterbau. Sind das die Abgründe, die Wilsons gleißender Revue-Stil verweigert? Hengelbrocks Tempi wirken gleichzeitig getragen und luftig, schön. Schade, dass das Horn gleich beim ersten Einsatz patzt, überhaupt klappert es vor der Pause gehörig. Selbst als diese Nervosität sich legt und Hengelbrock sich auch vor größeren Ausbrüchen nicht scheut (etwa in der von Wilson mit Feuerrädern und Fackelläufern reichlich lahm bebilderten Wolfsschlucht), bleibt sein Zugriff doch ein wenig schematisch und wie von außen an die Musik herangetragen.

Auch bei den Sängern werden leichtere Gewichte bevorzugt: Kaspar (Dimitry Ivashchenko) hat zweifellos mehr Schneidiges, Aasiges im Bariton als Bramarbasierendes. Ännchen ist mit der so fröhlich wie natürlich aufsingenden Julia Kleiter fast zu klein besetzt, das Ätzende, Fiese der Partie kommt bei ihr jedenfalls zu kurz. Rührend hingegen und buchstäblich aus anderen (Klang-)Welten grüßend: Paata Burchuladze als kurzfristig eingesprungener Eremit. Und eine echte Entdeckung: Steve Davislims Max. Ein sauberer, angenehm warm timbrierter Tenor, der jederzeit weiß, was er tut und was er will.

Ob es bei Juliane Banse nun tatsächlich am Kostüm liegt oder sie bei ihrem Agathen-Debüt mit stimmlichen Problemen zu kämpfen hat: So sehr ihr Sopran an Reife und Rundheit gewonnen hat und Ausflüge ins schwerere Fach nahelegt (Tatjana in „Eugen Onegin“ oder demnächst Strauss’ Arabella), so wenig spielt offenbar die Höhe mit. Jenseits der Mittellage wird das Timbre regelmäßig fahl und hauchig, den beiden Kavatinen fehlen so alle siegessicheren Spitzentöne, alles lyrische Strahlen.

Glaubhaft wird diese Agathe in ihrem gebeutelten Gottvertrauen nicht, so sehr man sich auch bemüht. Aber das wäre von diesem „Freischütz“, der so perfekt ins Baden-Badener Festspielhaus passt wie ins 21. Jahrhundert, auch etwas viel verlangt. Ovationen.

Christine Lemke-Matwey

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