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© ddp

Oper: Pan, geh’ du voran!

Stefan Herheim gilt als Lichtgestalt der Opernregie: Sein Stuttgarter „Rosenkavalier“ bestätigt das

Das Ende ist auch diesmal wieder Jubel. Eine überwältigende Mehrheit des Publikums dieser Stuttgarter „Rosenkavalier“- Premiere bestätigt das Urteil der deutschen Opernkritiker, die Stefan Herheim gerade zum zweiten Mal in Folge zum „Regisseur des Jahres“ gewählt haben. Der Norweger, dessen Bayreuther „Parsifal“ 2008 Aufsehen erregte, scheint tatsächlich eine Lichtgestalt zu sein: einer, dessen Inszenierungen die Konservativen genauso goutieren wie die Regietheaterfans, der intellektuellen Anspruch und Opulenz, Kurzweil und Tiefsinn auszubalancieren weiß. Das Herheim-Theater dürfte als Vorbild die nächste Regiegeneration nicht weniger prägen, als es Harry Kupfer und Peter Konwitschny zu ihrer Zeit getan haben.

Herheims kometenhafter Aufstieg liegt zum einen daran, dass der Opernszene eine Gestalt mit vergleichbarem künstlerischem Charisma in den letzten Jahren gefehlt hat, nachdem Hoffnungsträger Sebastian Baumgarten im Dickicht seiner Dekonstruktionsversuche verschwunden war. Außerdem ist das Herheim-Theater eines für die ganz großen Stoffe: Rezeptionsgeschichte und Werkanalyse, Aufführungsklischees und Geistesgeschichte sind der Humus für seine Visionen und Versionen, aus ihnen fügen sich in mosaiksteinhaftem Nebeneinander langsam seine Interpretationen zusammen, sind Nacherzählung und Essay, präzis verfolgtes Detail und wuchernde Bildfantasie zugleich. Herheim-Theater, das ist eine Überfülle, aus der sich jeder das nehmen darf, was ihm gefällt: die Intellektuellen ihre Konzepte, die Kulinariker ihre schönen Kostüme und prachtvollen Bühnenbilder. War gute Oper eigentlich je etwas anderes?

Nun also der „Rosenkavalier“. Musikalisch ist die Aufführung in etwa das, was man von einem deutschen Haus der 1b-Kategorie erwarten kann – ordentlich, aber ohne überregionale Impulsstärke bei Sängern (Christiane Iven, Marina Prudenskaja, Moica Erdmann und Lars Woldt) und Dirigat (Stuttgarts GMD Manfred Honeck). Dieser „Rosenkavalier“ ist also von Anfang an ein Herheim-Abend. Was natürlich auch an der Eigenart seines Theaters liegt: Wie Puppen schiebt er die Figuren umher, bindet sie so eng in sein Spiel vielfältiger Bedeutungsebenen ein, dass sie kaum einen eigenen konsistenten Charakter formen können, an dem sich ein vokales Porträt entlangranken könnte. Dafür freilich entschädigt sie der Regisseur mit spektakulären Auf- und Abtrittsmöglichkeiten unter Sternenkränzen und Feuerwerk.

Schon bevor überhaupt der erste Ton erklingt, klappt Herheim seinen Zauberkasten auf: Unterm königsblauen Himmelszelt rotiert die von Trockeneisnebeln umwallte Drehbühne und zeigt eine füllige Frau in den besten Jahren, die am Schminktisch mit ihrem Alter hadert. Mit einem krachenden Faustschlag zerstört sie ihr Spiegelbild und setzt damit die ganze Oper in Gang.

Ab geht die Reise in die Traumidentität einer Marschallin. In ein Reich, wo Satyrn mit plüschigen Riesengemächten zu Strauss’ testosteronspritzenden Hornfanfaren über sie herfallen, bevor endlich der Held Octavian vom Schnürboden herabgeschwebt kommt und die Sexmonstren (vorerst) vertreibt. Deren Chef, der Gott Pan, behält die Szene allerdings auch weiter im Auge und wird aus dem Hintergrund immer dann eingeblendet, wenn höhnisch meckrige Holzbläserstimmen in der Partitur sich über das amouröse Getändel zwischen der alternden Frau und dem jungen Lackel mokieren.

Die Domestizierung und Verdrängung der Sexualität ist das Generalthema, das Herheim im „Rosenkavalier“ ausmacht. Strauss’ Oper als Kollektivtraum aus dem Geiste Freuds, in dem die Menschen zu wunderlich fantastischen, aber dennoch ihre Realität spiegelnden Wesen verwandelt werden: Der Gockel Faninal, der sein Töchterchen Sophie mit dem faunslockigen Baron Ochs verheiraten will. Das Mozartpüppchen Octavian mit seinem Kinderdegen. Und schließlich der struppige Gott Pan: Er ist es, der aus den Bruchstücken des Schminkspiegels die silberne Rose bastelt und sich am Ende mit den Splittern dieses Symbols von Selbsterkenntnis und Sinnlichkeit den Tod gibt, nachdem das keusche Ideal des „Traum“- Paars Octavian und Sophie triumphiert hat. Zumindest scheinbar, denn zum Glück sind da ja noch die saftigen Schlusstakte, in denen Strauss die Paartraum-Seifenblase lustvoll platzen lässt und dem Gott die Auferstehung ermöglicht.

So viel zum Tiefgang. Doch weil sich das Geschehen den ganzen Abend über nie in der Sphäre des Konkreten festmachen lässt und auch Rebecca Ringsts Bühnenbild mit seinen Gazeschleiern (hinter denen sich schemenhaft Beunruhigendes abspielt) sich allem Banal-Realen entziehen, ist eben auch aller Raum für Opulenz, Poesie und Spektakel. Denn natürlich wird an diesem Abend auch intensivst von einem Bilderbuch-„Rosenkavalier“ geträumt – ganze Strecken der Oper laufen vordergründig so ab, wie es sich nicht nur viele Besucher, sondern auch die Dame, die selbst so gerne Marschallin wäre, erträumt hätten. Am Ende wird sie als Besucherin von der Königsloge aus ihr resigniertes „Jaja“ zum Schlussduett beisteuern – „war ein Traum, konnt’ nicht wirklich sein“. Oder doch?

Jörg Königsdorf

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