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Lang_lang

© Foto : dpa

Philharmonie: Barenboim und Lang Lang glänzen

In der Philharmonie präsentieren Daniel Barenboim, Bernard Rands und Lang Lang mit viel Engagement das Thema "Verlassenheit, Heimatverlust". Doch die Zuschauer fliehen.

Aus mathematischer Sicht sind die Verhältnisse klar. Es gibt offenbar eine nur knappe Schnittmenge zwischen denjenigen, die wegen Lang Lang in die Philharmonie gekommen sind, und denen, die sich auch noch anhören mögen, was danach geboten wird: „apókryphos“ für Sopran, Chor und Orchester von Bernard Rands nämlich, eine gemäßigt moderne Vertonung von apokryphen Schriften und Versen von Heine, Celan oder Nelly Sachs, 2003 in Chicago uraufgeführt und wie damals so auch jetzt mit Daniel Barenboim am Pult. Doch gleichgültig, mit welcher Sorgfalt der 1934 geborene Rands die Texte zum Thema „Verlassenheit, Heimatverlust“ montiert hat, wie überlegt er mit ausdeutenden, klangfarblichen Mitteln umgeht; wie glanzvoll Angela Denoke die oftmals verzackten, überaus hoch angelegten Partien des Solo-Soprans singt; wie viel Engagement die Staatskapelle zur Schau stellt: Die Zuhörer fliehen. Nach und nach verlassen Dutzende den Saal, gerade so, als ob es ihnen zustünde. Es ist unglaublich.

Nur einen Grund gäbe es, der diese Reaktion rechtfertigen würde – und an dem es dennoch nicht liegen kann: Die Herren des Staatsopernchores (Einstudierung Eberhard Friedrich), zumal die unteren Stimmen, haben gewiss schon weniger nach Kantine geklungen. Sie bölken die Zeilen aus dem Buch Tobit so frisch heraus ins philharmonische Rund, zugleich so selbstgewiss-routiniert, dass man ihnen geradezu Rückbildungsgymnastik ans Herz legen möchte, zurück von der Opernbühnen-Ausgebufftheit hin zur klaren Disposition für den Konzertsaal.

Bleibt das von allen erheischte Glanzstück, der goldene Köder, mit dem man an diesem Abend offenbar auch zu ganz Neuem verführen wollte. Lang Lang also, mit Beethovens drittem Klavierkonzert – nicht so leichthin wie die ersten beiden Konzerte, weniger ruppig und gedankenschwer als das letzte. Stilistisch stellt Lang Lang am Flügel eine Art Bricolage auf kosmischem Niveau her. Gläsern-kantig hebt er an, um gleich darauf ein äußerstes Leggiero vorzuführen; bald lässt er Triolenläufe ins Pianississimo verschwinden, den Bläsern den Vortritt gebend, bald schüttelt er Triller aus der rechten Hand oder knotet polyphone Passagen überstark gegeneinander. Alles darf er unter Barenboim, alles steht ihm zu Gebote, technisch sowieso. Musikalisch dagegen liegt die größte Herausforderung wohl darin, mit den freiliegenden Noten zurechtzukommen und nichts eigens zu „veranstalten“. Beethoven ist schließlich nicht Rachmaninow.

Wie dies gehen kann, macht die Staatskapelle mit bewunderungswürdigem Ernst vor. Sie setzt zusammen, was Lang Lang auseinanderlegt, sie ist stilistisch schlafwandlerisch sicher, wo er jeden Akkord mit Raffinesse färbt. Erst das Rondo wird verspielt genug sein, alle und alles in einem Guss zusammenzuführen. Eine fabelhafte Darbietung, tatsächlich eine Einladung zu mehr Musik. Schade, dass nicht jeder ihr folgt.

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