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Pilharmoniker: Sohn der Angst

Gustavo Dudamel bei den Berliner Philharmonikern: Dmitri Schostakowitschs 12. Sinfonie, die nun folgt, birst geradezu vor negativer Energie: Die Schärfe des Sounds geht sofort unter die Haut, löst geradezu physisches Unwohlsein aus.

Was ist denn da los? Die Pause hört gar nicht mehr auf, das Publikum strömt in den Saal, angetrieben von der inneren Uhr, die voll besetzte Philharmonie starrt stumm auf die Kontrabass-Gruppe, die mutterseelenallein auf dem leeren Podium sitzt, 30 Minuten vergehen, 35 Minuten. Intendantin Pamela Rosenberg steht von ihrem Sitz auf, kommt zurück, macht aber keine Ansage. Schließlich öffnen sich doch noch die Bühnentüren, die Berliner Philharmoniker strömen herein – und ist da nicht Wut auf ihren Gesichtern zu lesen? Haben sie sich womöglich mit ihrem Gastdirigenten Gustavo Dudamel überworfen?

Dmitri Schostakowitschs 12. Sinfonie, die nun folgt, birst geradezu vor negativer Energie: Die Schärfe des Sounds geht sofort unter die Haut, löst geradezu physisches Unwohlsein aus. Erschütterndes, blechgepanzertes Getöse, düster, kaltherzig das Cello-Thema, Fagott und Klarinette klagen, im Finale werden die Geigen sich mit lieblichem Säuseln verstellen, die Holzbläser opportunistisch einfallen, bevor die Aggressivität wieder Oberhand gewinnt, im wuchtigsten, brutalstmöglichen Fortissimo. Der Soundtrack eines Terrorregimes.

Ein klingendes Porträt Lenins hatte Schostakowitsch 1960 schreiben wollen, rechtzeitig zum 22. Parteitag – doch: „Ich endete mit einem völlig anderen Ergebnis. Das Material widersetzte sich.“ Der Komponist hat in seinem Leben die Angst in allen ihren Erscheinungsformen kennengelernt. Seine Partituren erzählen darum immer von Leid und Not, auch da, wo er die russische Revolution verherrlichen will. Dass es Dudamel so grandios gelingen würde, so tief unter die Oberfläche zu dringen, gerade ihm, dem Sonnyboy aus Venezuela, dem 28-jährigen Shootingstar und Medienliebling, der seinen Musikern mantraartig predigt, beim Spielen niemals das Lächeln zu vergessen, das bewies einmal mehr, wie ungemein musikalisch dieser Ausnahmekünstler tatsächlich ist.

Die rätselhafte Verzögerung vom Donnerstag ließ sich übrigens gestern ganz unspektakulär auflösen: Zu Beginn wurde Sofia Gubaidulinas hübsch-harmloses Schlagwerk-Konzert „Glorious Percussion“ gespielt. Bei Deutschlandradio, das den Abend übertrug, war man auf 35 Minuten Umbauzeit eingestellt, die sich die Bühnentechniker ausbedungen hatten. Als das umfangreiche Instrumentarium der Solisten bereits nach 25 Minuten fortgeschafft war, musste der Saal eben warten. That’s live. 

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