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Potsdam: Bloß keine Schrankwand

Vom Widerstehen: ein Doku-Theaterstück zum Mauerjubiläum in Potsdam.

Sie wollen keine Helden sein. Sie führten Menschen aus dem Osten in den Westen. Sie verteilten Flugblätter, gründeten Friedensorganisationen, wehrten sich gegen die Diktatur. Und sie nahmen dafür Verhöre, Verhaftung und Ausbürgerung in Kauf.

„Dabei wollen wir nur eines.“ Carolin Lorenz steht weit vorne auf der Bühne des Hans-Otto-Theaters, fixiert das Publikum mit festem Blick: „Unsere kleine graue Welt zum Schaukeln bringen.“ „Vom Widerstehen“ heißt das Dokumentar-Theaterstück, das die Dramaturginnen Lea Rosh und Renate Kreibich-Fischer gemeinsam mit Regisseur Clemens Bechtel inszenieren, anlässlich des 20. Mauerfall-Jubiläums. Für das sich sieben DDR-Bürgerrechtler vor ihre Zuschauer stellen, um von Kontrolle und Überwachung zu erzählen, aber auch von ihrem Privatleben: den Schüssen, die sie als Kinder im Wald hörten, durch den die Mauer verlief. Der Flucht, die den Vater das Leben kostete. Den Freunden, den Verrätern.

Konrad Weiß, Ralf Hirsch, Ulrike Poppe und Wolfgang Templin, die vier prominenten Dissidenten aus Ost-Berlin, sitzen hierfür oft auf 70er-Jahre-Stühlen mit grünem Stoffbezug und Blümchenmuster. Das Bühnenbild soll heute und damals verschwimmen lassen – und zugleich abgrenzen, genau wie der Wechsel zwischen Schauspiel und Bericht. Mal tönen Stasi-Urteile durch die Lautsprecher, während Schwarzweißfotos der Widerständler an die Wand projiziert werden. „Labiler Charakter“ oder „fehlgeleitete politische Anschauungen“ dröhnt es da. Mal agieren Hirsch, Poppe und Templin, die Mitbegründer der „Initiative für Frieden und Menschenrechte“, miteinander: diskutieren, hämmern in eine Schreibmaschine oder drücken einen alten Telefonhörer ans Ohr, so wie sie es früher getan haben.

Früher haben die Bürgerrechtler das sicher leidenschaftlich getan, berauscht von der Idee des Umbruchs. Heute wirkt diese Selbstinszenierung gestelzt. Als müssten sie ihren ohnehin dramatischen Erlebnissen mit aller Macht Authentizität einflößen. Mit gespielten Anrufen („Danke, mir geht’s auch gut“) funktioniert das nicht. Aber dann, wenn es schlicht und leise passiert, wenn sich Ulrike Poppe mit einer Decke über den Schultern wärmt und murmelt: „Ich will keine Kleinfamilie, keine Neubauwohnung, keine Schrankwand.“ Oder wenn die 56-Jährige von dem Kinderladen berichtet, den sie eröffnete, als ersten im Ostteil Berlins. Wie das Ministerium für Staatssicherheit seine Mitarbeiter in Bauarbeiterkleidung zu ihr schickte, die das Schaufenster einschlugen und das Interieur entwendeten, um den Kinderladen hinterher zuzumauern.

Die Mutigen aus Potsdam sind Hans- Joachim Schalinski, Jeanne Grabner und Carolin Lorenz. Sie haben die Gegendemonstration zum 40. Geburtstag der DDR vorbereitet, für die Veröffentlichung des Wahlbetrugs 1989 gekämpft und „keine Deos mit Treibgas benutzt“. Carolin Lorenz versuchte schon mit 18, mit kleinen Aktionen Großes zu bewegen.

„Vom Widerstehen“ ist der Nachfolger des Dauerbrenners „Staats-Sicherheiten“am Theater in Potsdam, das vom gleichen Team unter Rosh auf die Bühne gebracht wurde. Auch das neue Stück lässt diejenigen erzählen, denen viele nicht mehr zuhören möchten. Und diejenigen, die nicht mehr zuhören möchten, zwingt es zur Erkenntnis: Zeitzeugen muss Zeit gegeben werden. Selbst wenn die Betroffenen das manchmal anders sehen. „Wir sind keine Helden“, betont Hans-Joachim Schalinski. „Oder wir sind Helden wie andere auch.“

Hans Otto Theater, Potsdam: wieder am heutigen Sonnabend und am 28. 11.

Annabelle Seubert

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