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Schaubühne Schaubühne: Der Lehrer ist weg

Crashkurs mit Frauen: Die Schaubühne inszeniert das legendäre Stück „Klassen Feind“ neu.

Man kann in der Schaubühne noch einiges lernen. Zum Beispiel über die Zubereitung ausgesuchter Berliner Spezialitäten: Wie Luna, Schülerin der Klasse 10F, in ihrer Handtasche eine Handvoll Schweinehack mit Milch zu einer Bulette vermanscht, gehört zu den Höhepunkten des Abends. Auf solche Rezepturen kommen Jugendliche, wenn sie in einem Klassenzimmer herumlungern, das kein Pädagoge mehr betritt, weil schon mindestens zehn Bildungsbeauftragte in die Flucht geschlagen wurden. Womit wir beim Setting von Nigel Williams’ „Klassen Feind“ wären, einem Schaubühnen-Klassiker von 1981, den das Haus jetzt neu auflegt.

Der Exkurs aus der hohen Kunst in die niedere Gegenwart war Peter Stein und seinem Co-Regisseur Jürgen Kruse, die das Stück seinerzeit von London nach Kreuzberg verlegt hatten, hundertprozentig gelungen: Während etwa Friedrich Luft in der „Berliner Morgenpost“ beeindruckt zu Protokoll gab, „wahrlich in eine Hölle geblickt“ zu haben, schäumte die „Wiener Zeitung“ über „das Ordinärste, Widerwärtigste, Brutalste, Nihilistischste und zugleich Gemeingefährlichste, was man uns heutzutage vorsetzen kann“ – dargeboten von „sechs Laien, deren Namen nichts zur Sache tun“. Sie hießen – um das an dieser Stelle der Vollständigkeit halber mal nachzutragen – Ernst Stötzner und Udo Samel.

Die Erblast für den jetzigen Regisseur Wulf Twiehaus ist also gewaltig, zumal das Stück nicht jünger geworden ist. „In die Hölle“ blickt heutzutage vermutlich kein Pädagoge mehr, wenn junge Menschen sich gegenseitig „Ficker“ und „Fotze“ zurufen; geschweige denn ein Schaubühnen-Besucher.

Also setzt Twiehaus alles daran, jedweden Remake-Verdacht zu entkräften. Seine deutlichste Maßnahme: Statt der Kreuzberger Problemjungs hocken hier fünf kleidungstechnisch keinem Milieu zuzuordnende Studentinnen der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“ in einem fast leeren Raum (Bühne: Katrin Hieronimus), der jeden plakativen Klassenzimmerrealismus vermeidet. Die Crossgender-Besetzung von Männerrollen mit Frauen und umgekehrt, die zurzeit en vogue und selten von Mehrwert ist, erweist sich als Pluspunkt; wenn auch weniger konzeptionell als darstellerisch.

Den Studentinnen Bettina Burchard, Ellen Günther, Nina Horváth, Lena Voigt und Mara Widmann gelingt etwas Seltenes. Sie verweigern sich jenem aufgesetzten Macker(innen)-Posenrepertoire, das der Theaterbaukasten normalerweise für die Darstellung von Problem-Teenagern vorsieht. Mit ihrer selbstbewussten Spielweise sind sie souverän wie Vollprofis. Und so lautet eine erfreuliche Erkenntnis dieses Abends, dass man sich um den Schauspielerinnennachwuchs, aus dem die pathosfrei anrührende Balkonpflanzenexpertin Lena Vogt alias Angel noch einen Millimeter herausragt, keine Sorgen machen muss.

Der Rest indes ist belanglos. Dass das knapp dreißig Jahre alte Stück, in dessen Verlauf jede Schülerin ihre Verletzlichkeit und somit eine Motivation hinter der Aggro-Pose offenlegt, mit ein paar Textaktualisierungen in die komplexer gewordene Gegenwart zu übertragen wäre, ist Augenwischerei. So rauscht der Abend relativ schmerzfrei vorbei. Da stört nichts, da tut nichts weh, und da bleibt dann eben auch wenig übrig. Christine Wahl

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