zum Hauptinhalt

Stephan Kimmig: Rückzug des Chefegoisten

Stephan Kimmig inszeniert "Don Giovanni" an der Bayerischen Staatsoper. Er ist einer der besten Schauspielregisseure dieses Landes. Er knackt seine theatralischen Nüsse nicht mit Gewalt, sondern methodisch, aber eben variabel.

Scena ultima in München: Don Giovanni hat es über der Spüle seiner schicken Herdzeile banal mit einem Herzkasper dahingerafft, nachdem er dem Komtur noch überaus markig die Hand zu schütteln wusste. Bereuen? Nicht Don Giovanni! Der Komtur war (im Bischofsornat) nicht alleine erschienen, sondern als spitzenformeller Bestandteil einer Kette von Klerikern und Bundeswehrgenerälen. Gleichzeitig stirbt im Video (Benjamin Kriegs Einspielfilme sind ständiger Begleiter des Geschehens auf der Bühne von Katja Haß) ein Mann, der verdächtig wie der Terrorist Holger Meins ausschaut, während eines Spießrutenlaufens im Gefängnistrakt.

Und nun stehen sie da, die Geschädigten, Verwirrten, Entgeistigten, und Donna Elvira (die einzige Frau, die Don Giovanni wirklich geliebt hat) verteilt ein paar Trauerschleifchen fürs Revers. Kann sein, Leporello findet bald wieder einen neuen Chef, schließlich ist er ein gut organisierter Mensch. Kann sein, Donna Anna und Don Ottavio heiraten und bekommen zwölfmal Nachwuchs (wie der Schriftsteller Shaw boshaft annahm); okay, sie wissen, wie Sex geht, und im Fuhrpark der Anlage stehen genug Buggies und Plüschgetier rum, auch Kinderzimmer wären vorhanden. Masetto und Zerlina (tendenziell ja eher Unterschicht) gehen Junk essen, Donna Elvira hingegen mag bestimmt nicht ins Kloster. Elvira und Leporello wären als Paar eine ferne Möglichkeit. Ja, kann sein, kann sein. Andererseits: Will man’s noch wissen? Schon dröhnt das Buh von allen Rängen, im Nu ist der Saal leer, am Ende seltsam ungerührt lässt das Publikum die Protagonisten stehen.

Stephan Kimmig ist einer der besten Schauspielregisseure dieses Landes. Er knackt seine theatralischen Nüsse nicht mit Gewalt, sondern methodisch, aber eben variabel. Man braucht Kimmig, im Normalfall am Theater und oft sehr schön in den Münchner Kammerspielen zu sehen, egal ob für Horvath, Ibsen oder Schiller eigentlich nur Schauspieler und einen Raum zu geben, je kleiner, je besser, und wird dann noch das Fernste sehr nah empfinden, schmerzlich luftabschnürend manchmal, weil Kimmig sein Personal in einen Ausnahmezustand versetzen kann. Man sieht dann, wie die Sprache durch die Menschen gegangen ist und welche Folgen das hat. Zum Debüt an der Oper indes hat der Münchner Intendant Nikolaus Bachler Kimmig überreden müssen, und so sieht das nun leider häufig aus: verzwungen. Denn auch Stephan Kimmig hat jene berühmte Angst vor dem operntheatralischen Leerlauf, die seinesgleichen häufiger überfällt: Manchmal ist da nämlich „nur“ Musik, und die müsste man jetzt durchhören mögen, empfinden. Auch durchwinken. Oder: einfach geschehen lassen. Kimmig lässt sich reizen, anstacheln. Heraus kommen ein paar Assoziationen, selten zwingend, eher ringend: nach Überzeugungskraft. Allein…

Don Giovanni erscheint in vielfacher Gestalt. Langmähnig ungepflegt, mit Kippe und Bart; tadellos fit im grauen Anzug, peinlich im vergoldeten Outfit, seltsam abwesend eine Barbiepuppe knetend in einem Rückzugszimmer für den Chefegoisten, im Hintergrund bunteste Keith-Haring-Tapete. Die Bühne von Katja Haß besteht nur aus Containern. „Welcome to Espaina (sic!) steht auf einem der vielen Klötze, die ständig auf der Drehbühne rotieren, das meiste soll in den Osten rollen, kyrillische Beschriftung. Aber irgendwie zieht es alle hierhin, ans Ende der Welt (nicht: der Zeit). Donna Anna lässt sich auf eine alte Matratze zwischen Dosenbierbüchsen legen, Zerlinas Hochzeitsgesellschaft quillt förmlich wie Schaum aus dem schäbigen Hintergrund, und auch die Ausdauersportlerin (!) Donna Elvira fühlt sich magisch angezogen von der Dunkelheit. Es ist eine trashige Welt, aber auch wieder maximilianstraßenexklusiv ärmlich.

Oben drüber Videos: Kanalgänge, wie aus dem „Dritten Mann“, Wespen auf Obsttorten, Straßenleuchten, aus dem Auto gefilmt; ein Wolf, der sich wälzt; ein Büffel, der eine Löwin platt macht: Symbolik mit dem ästhetischen Hammer. Gleich zu Anfang zittert sich auf der Szene ein nackter alter Mann wie Espenlaub durch die Ouvertüre, später hockt er im Bademantel in Don Giovannis Küche, beschäftigt mit Bastelarbeiten, tanzt auf dem „Schlossfest“ mit Federboa und pustet am Schluss quasipoetisch ein paar Kinderwindmühlenrädchen an: nett, aber herzlich überflüssig. Wer soll das sein? Don Giovannis Alter Ego? Die Kreatur an sich? Der Mann im Wandel der Zeiten? Der anfangs ermordete Komtur? Kimmig zeigt, wenn man so will, die Nüsse. Aber er knackt sie nicht, allenfalls jongliert er ein bisschen.

Der Dirigent Kent Nagano, und das ist im Grunde genommen das ärgere Kapitel, ist Kimmig keine Hilfe. Nagano, bisher mit impressionistischen Studien sehr, mit Wagner leidlich erfolgreich, kapituliert nach einigen Kavalierstarts dauerhaft vor Mozart. Alles, was er dem Orchester mitteilen mag, sind Sekundeneinfälle, Instantideen: verhetzte Arienanfänge, Streicherballungen, ein Hang zum dunklen Ton. Manchmal hört man eine Skizze. Dann leider auch schnell, wie sie sich versendet. Schlimmer noch: Naganos Mozart singt kaum und kann auch die Sänger nicht tragen. Handwerklich unterernährt müssen selbst gute Kräfte wie Pavol Bresliks Don Ottavio und der Leporello von Alex Esposito selber schauen, wo sie bleiben. Der Don Giovanni von Mariusz Kwiecien ist glatt (und entspricht immerhin Kimmigs Regiekonzept): das Abonnentenpublikum in München wird in den nächsten Jahren nicht erfahren, um wen es sich hier handelt.

Kimmigs Kardinalfehler symbolisiert eine Szene: als Don Giovanni dem Bauern Masetto die Frau wegnimmt, wagt der keinen Widerspruch. Bei Mozart und seinem Librettisten da Ponte ist klar, wer Herr und wer Knecht ist (und anders funktioniert das Stück nicht). In München gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum Masetto klein beigeben sollte, die sind gleich auf gleich. Kimmigs Verhältnisse heben nur scheinbar die Fallhöhe und die Klassenschranken auf, beides bekommt er nicht weg-, nicht hininszeniert. Je länger, je mehr richtet sich die Sache an der Rampe ein. Überlebte Gesten gehen ins Nichts. Nagano dirigiert sich so durch. Wenig Kluges von Kimmig, viel Klamauk und Kalauer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false