zum Hauptinhalt
321749_0_2849601a.jpg

© Â Jirka Jansch

Stephan Kimmig: Schillers "Kabale der Liebe"

Stephan Kimmig zeigt am Deutschen Theater Schillers „Kabale und Liebe“. Möglicherweise will Stephan Kimmig gar nicht das Stück, sondern um sein Pathos heruminszenieren.

Man muss über das Bühnenbild sprechen, daran kann man sich wenigstens festhalten. Ein großes Zimmer also, in zeitlos schäbigen Beige- und Grautönen tapeziert, das mit sehr vielen Türen ausgestattet ist. Türen in den Wänden, Türen im Boden, die dadurch zu Kellerluken werden, waagrecht eingesetzte Türen, die an Fensterschlitze denken lassen, Türen in der Decke auch, zu denen man über eigens montierte Trittvorsprünge und Griffe sich hinaufhangeln kann. Anfangs steht dieses von Katja Haß entworfene Türen-Zimmer noch brav vorn an der Rampe des Deutschen Theaters, bald zeigt es aber, was es kann, schiebt sich tiefer in den Bühnenraum hinein und klappt sich pompös auseinander. Wände kippen oder teilen sich in Teilwände, die sich drehen. Alles beginnt plötzlich beweglich zu werden, und gegen Mitte des Abends kreist die Konstruktion mit schwebenden Wandsegeln um sich selbst, wie ein kompliziertes, verwirrendes Mobile, und oben in der Höhe hocken die Schauspieler in den Türenluken und drehen sich hilflos mit.

So groß hätte der technische Aufwand freilich nicht sein müssen, denn die reichlich naheliegenden Grundgedanken erschließen sich auf den ersten Blick. Erstens: Hinter tausend Türen keine Welt. Zweitens: Die Geschichte wird böse, böse enden – denn die waagrechten Türen erinnern fatal an Sargdeckel.

Und so kommt es in „Kabale und Liebe“, Schillers drittem Stück, natürlich auch. Die Liebe zwischen dem Adelsspross Ferdinand und dem Bürgermädchen Luise ist unmöglich. Der Bürgervater fürchtet die Entehrung der Tochter, der adlige Präsident bangt um seinen Einfluss beim Fürsten, weshalb sein Sohn dessen Mätresse heiraten soll. Da dieser nicht will, muss das Paar durch eine Intrige auseinandergetrieben werden. Fingierte Liebesbriefe, falsche Liebhaber, Lügen, Erpressung, das volle Programm. Doch die Rechnung des machthungrigen Vaters geht nicht auf. Stattdessen Tod der Liebenden, und dort, an jenem „dritten Ort“, darf sich die unbedingte Liebe endlich realisieren. Schiller war dreiundzwanzig, als er das Stück schrieb.

Es gibt kein Entrinnen. Das sagt das Bühnenbild schon. Mehr aber nicht. Es ist zwar schön anzuschauen, bleibt aber eine gebaute Schnapsidee, die keinen stimmigen atmosphärischen Rahmen liefert, sondern Schauspieler und Regie nur zu Abwegen verleitet. Ein Art Ablenkungsklettergerüst – und damit doch irgendwie Sinnbild des Abends.

Mit „Öl“ von Lukas Bärfuss war Stephan Kimmig zur Eröffnung der DT-Eröffnung noch ein stimmiges Kammerstück gelungen. Jetzt, bei „Kabale und Liebe“, will dagegen nichts zusammenpassen, weil auch schauspielerisch die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht stimmt. Die Schauspieler agieren, als würden sie ihre Figuren aus Emotionsbausteinen zusammensetzen, die sich zwar aufeinanderstapeln lassen, aber nicht zu einer Einheit fügen. Zu keinem Moment wird deutlich, weshalb Kimmig diese Geschichte eigentlich erzählt.

Die „unbedingte Liebe“ kann es zumindest nicht gewesen sein, dafür ist Ferdinand viel zu disparat. Seine Erregung, sein Gefühl scheint nicht nur auf Luise gerichtet zu sein, sondern auf alles und nichts. Ole Lagerpusch klettert schnaufend die Wände hoch, reißt darauf seiner Luise, also Claudia Eisinger, das Hemdchen vom Leib, um sich im Kussrausch mit ihr zu vereinigen – und wiederholt das Ganze dann kurze Zeit später fast identisch mit Lady Milford, die er doch gar nicht will, aber offenbar doch ein bisschen, um dann wiederum seinem Vater zärtlich übers Gesicht zu fahren, während er ihn anbrüllt.

Gehorcht Lagerpuschs Enthemmung möglicherweise der aus dem Ruder gelaufenen Losung „Was sich liebt, das neckt sich“? Verweist sie darauf, dass im Türen-Zimmer der Falschheit kein richtiges Fühlen möglich ist? Es bleibt im Dunkeln. Aber auch der heutige gesellschaftliche Konflikt zwischen den Mächtigen und den Ohnmächtigen kann es, anders als es das Programmheft behauptet, nicht sein. Bis auf die Tatsache, dass die mächtigen Adligen Blau und die Bürgerlichen erdiges Braun tragen, lassen sich da keine gesellschaftlichen Klüfte feststellen.

Lady Milford wankt bei Lisa Hagmeister im schicken Hosenanzug über die Bühne, als sei sie ständig betrunken. Soll dieses Taumeln und ihr falscher Ton etwas von der Taubheit und Abgestumpftheit erzählen, die entsteht, wenn man von einem zum nächsten weitergereicht wird? Ulrich Matthes, zum ersten Mal in der Rolle eines Vaters, gibt dem Präsidenten von Walter zwar die Kälte des Strippenziehers. doch selbst bei ihm schleicht sich eine seltsam hohl tönende Note ein.

Vielleicht ist es aber die (selbstzerstörerische) Liebe der Kinder zu ihren Eltern, die Kimmig interessiert. Denn Luise schreibt, von Wurm (Alexander Khuon) dazu gezwungen, den falschen Liebesbrief, der ihren Geliebten auf falsche Gedanken bringt, nur, um ihren Vater aus dem Gefängnis zu befreien. Auch Claudia Eisinger gibt Luise als doppelte. Mit beiden Beinen fest auf dem Boden, gibt es nichts, was sie von der Klarheit ihres Ehrgefühls abbringen könnte. Aber oben hängt und wankt und wackelt der Kopf, so dass das Haar immer ins Gesicht hängt und ihr den Blick aufs Eigentliche verdeckt: Dass es – Intrigen hin oder her – mit der Ferdinand-Liebe eben ohnehin nichts werden kann, solange Papa Miller (Matthias Neukirch) ihre Nummer eins bleibt.

Möglicherweise will Stephan Kimmig gar nicht das Stück, sondern um sein Pathos heruminszenieren. Das würde wenigstens erklären, warum die Schauspieler so oft gegen Schillers Sprache sprechen, entweder zu schnell oder zu langsam oder mit widersinniger Betonung.

Es gab viele Türen an diesem Abend. Aber auch die anderen führten nicht weiter.

Wieder am: 11. und 23. 2. sowie am 3. 3.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false