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Tempodrom: Ben Becker spielt Gottes Krieger

Tempodrom:Nein, er schluchzt doch nicht. Er raunt, dröhnt, röhrt. Krümmt sich, beißt fast ins Mikro. Wirft den Kopf zurück. Spreizt die Hand, ballt sie. Er wankt. Orgelt. Wandelt durchs Orchester. Er swingt im Sound. Flüstert laut. Ben Becker liest die Bibel.

Vor drei Jahren hatte er begonnen, seine „gesprochene Symphonie“ mit dem Filmorchester Babelsberg auf Gastspielbühnen zu bringen, sogar für den Katholikentag. Jetzt startet in der Neuschwanstein-Kathedrale Tempodrom seine wiederaufgelegte Tournee mit dem Plovdiv Philharmonic Orchestra. Eine Geigerin kommt als Nonne. Die Zero Tolerance Band trägt Priesterkragen, der Gitarrist lila Soutane, das Gospelgirl-Quartett wallt in Rot. Beckers grauen Gehrock hätte man einst, schwarz gefärbt, als Lutherrock bezeichnet. An der blausamtenen Kanzel: ein Kreuz. Auf ein Triptychon werden Fotos projiziert: Galaxien, chaotische, brennende Interieurs, Meer, Sonnenauf- und Untergänge. Mit dem Soundtrack aus Mahler-Adaption und neukomponierter Erlösungs-Atmo entsteht die postmodern-evangelikale Kitschmelange zum Feierabend. Bruttodauer: drei Stunden. Gottlob darf man Bier und Wiener in den Saal mitnehmen.

Die theatralische Verwurstung sakraler Tradition – von Oberammergau über Oratorien bis zu Max Reinhardts Mega-Revue „The Eternal Road“ und Jesus bei Pasolini oder Zefirelli – schmeckt immer ein bissl bigott, was nur durch künstlerische Radikalität zu überwinden wäre. Doch von Intensität, selbst von der „Christus“- Performance seines Größenwahn-Idols Klaus Kinski, ist der bollerige Becker weit entfernt. Schöpfung, Sündenfall, Kain und Abel, den Turm zu Babel, den Exodus, den Selbstmord-Helden Samson, den komplexen Prolog des Johannes-Evangeliums, Jesus, Bergpredigt, Vaterunser, Passion und Apokalypse zieht er gleichmäßig durch den Whisky-Stimmen-Kakao pathetischer Beliebigkeit. Selbst der Cartoon vom mies gelaunten Propheten Jona darf keine Komik entfalten.

Bruder Ben stellt sich weder (wie Kinski) vor die Texte noch liturgisch dahinter, eher routiniert daneben. Nichts geht durch ihn durch. Und doch sind sie, flott gekürzt, das Schwarzbrot der Feier. Qualitäten der Luther-Übersetzung blitzen auf. Ausgespart werden spirituelle Pointen und die „Bundestheologie“: Heils-Geschichte Israels und der Kirche. Biographisch-Anekdotisches dominiert den esoterischen Wellness-Extrakt. Zum Horror wird die Andacht allerdings, sobald der Pastor singt. Gäbe es einen Gott: Das hätte ER verhindert.

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