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Thaeter: Fliegen lernen

Sascha Bunge hat "Josette und ihre Eltern" im Theater an der Parkaue auf die Bühne gebracht, respektvoll, aber nicht unterwürfig.

Die Heldin ist schon ein großes Mädchen, nämlich 33 Monate alt, behauptet Eugène Ionesco. Und treibt mit dieser Josette ein verrücktes Spiel. Die Kleine ist selbstbewusst, abenteuerlustig, neugierig, und sie nimmt philosophische Denkgebirge auf ihre schmalen Schultern, als gälte es ein Mäntelchen überzustreifen. Als dem Vater keine schlüssige Antwort auf die Frage einfällt, was das denn sei, die Seele, weiß Josette weiter: „Die Seele ist ein Nichts, das hört und sieht.“ Ionesco kostet das nicht ganz unschuldige Vergnügen aus, sich in seinen 1969 in Paris erschienenen „Geschichten für Kinder unter drei Jahren“ hinter dem „großen Mädchen“ zu verstecken. Das ermöglicht einen freien Umgang mit Raum und Zeit, mit Wirklichem und Fantastischem, mit Wissen, Glauben, Erkenntnis. Josette verlangt Geschichten, jeden Tag eine neue, ob das dem Papa am frühen Morgen nach Nächten im Restaurant nun genehm ist oder nicht. Um den Quälgeist ruhig zu stellen, läuft der aus dem Schlaf gerissene Erzeuger zu großer Form auf: Alle Leute heißen plötzlich Jacqueline, die Wörter wechseln holterdipolter ihre Bedeutung, Mond und Sonne kommen ins Bett, die Mama öffnet die Wand und erscheint als Blume, und, besonders wichtig, Bilder sind nicht Bilder, sondern Bilder ...

Sascha Bunge hat die Josette-Geschichten im Theater an der Parkaue auf die Bühne gebracht, respektvoll, aber nicht unterwürfig. Durch Kinderverse und Alltagsspaß um Atemübungen und Sauerkrautkochen ergänzt, fügt sich das epische Kunstwerk ins Dramatische. Josette, gespielt von Franziska Ritter, sägt sich mittels Fuchsschwanz aus einem Karton heraus, kommt zur Welt in einer Landschaft des fröhlichen Allerlei (Bühne/Kostüme Angelika Wedde), die sich samt Bett und stapelbaren Quadern hurtig verwandeln und drehen kann. Alles ist möglich, sogar ein Flugzeug kann starten, aber nach draußen muss man deshalb nicht.

Dass im Unterhaltsamen der fantastischen Begebenheiten eine raffiniert verfremdete Logik steckt – wie könnte das bei Ionesco anders sein –, verheimlicht Regisseur Bunge nicht. Aber er öffnet den Kindern im Alter von „5 plus“ Türen ins Geheimnisvolle, Verwunderliche. Freundlich und bestimmt umschifft er die Gefahr, durch aufgesetzt Unterhaltsames die bestechend klugen Erfindungen zu versimpeln. Mitdenken müssen die Mädchen und Jungen im ersten Schulalter schon. Angelika Ritter zeigt ganz schlicht, wie mit Unerschrockenheit das Sonderbare nicht nur gemeistert, sondern auch hervorgerufen werden kann. Birgit Berthold (Mutter/Haushälterin), Lutz Dechant (Sauerkrautkellner) und besonders Lajos Talamonti (Vater) sind im märchenhaften, von Musik (mouse machine) umspielten Milieu traumhaft sicher zu Hause. Auf der Bühne entfaltet sich ein Alltag außer Rand und Band, der auf besondere Art zu schöpferischem Ungehorsam einlädt.Christoph Funke

Bis zum 17. Juli täglich 10 Uhr

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