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© dpa

Theatertreffen: Triumph der K-Gruppe

Jubel im Festspielhaus: Kafkas "Prozess" beim Berliner Theatertreffen.

Bertolt Brecht hatte im Herbst 1947 gerade den absurdesten Prozess seines Lebens überstanden: das Verhör vor dem Ausschuss für „unamerikanische Aktivitäten“ in Washington. Tags drauf floh der Flüchtling aus dem Amerika der beginnenden McCarthy-Ära zurück nach Europa, nach Paris zunächst – und ging sofort ins Theater. Er sah in Jean-Louis Barraults Version die allererste Dramatisierung von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ und erlebte statt „Darstellung der Verwirrung nur verwirrte Darstellung“.

Inzwischen ist Kafkas Jahrhundertroman unzählige Male fürs Theater (und seit Orson Welles für den Film) adaptiert worden. Aber selten wohl war Kafka so ein Publikumserfolg wie in Andreas Kriegenburgs choreografischer Inszenierung an den Münchner Kammerspielen. Dort gilt sie als Kult, und auch jetzt beim Theatertreffen jubelte das Berliner Festspielhaus am Ende so, als sei das auch die geheime Erfüllung mancher Zuschauerwünsche: dass es vorbei sei mit der postbrechtianisch-postmodernen Verfremdungstour und der zerstückelnden Dekonstruktion, vorbei auch mit dem Rauen, Rüden, Wüsten, mit dem (angeblichen) Schmuddeltheater. Stattdessen nun: Ästhetizismus pur, elegant kultivierte, charmant orchestrierte Stimmen und Körper in einem Raum von betörender Schönheit. Doch so viel unentfremdete Geborgenheit, fragt der letzte Zweifler, ausgerechnet bei Kafka?

Natürlich ist schon Kriegenburgs Bühnenbild ein Coup. Inspiriert von Kafkas eigenen grotesken Zeichnungen sitzen, hängen, gleiten die Schauspieler immer wieder auf einer mit Büromöbeln, Eisenbett, Eisenhaltern konturierten, fast senkrecht gegen das Publikum gekippten und später auch rotierenden Weltscheibe, die in einem riesigen ovalen Trichter der Iris eines Gottesauges gleicht. Oder: dem Auge des Gesetzes. Vier Spielerinnen und vier Spieler sind wechselweise der multiple Josef K. sowie dessen Wächter und andere Frauen und Männer des Romans, allesamt schwarzweiße Herrendamen mit dem nämlichen Menjoubärtchen und der Maske des traurigen Stummfilmclowns: weniger Chaplin als ein melancholischer Buster Keaton. Achtmal Josef Keaton.

Diese in unerschöpflichen Vereinigungen, Verschlingungen und Ausstoßungen sich selbst erzählende K-Gruppe trifft Kafkas Töne und Untertöne am besten in seinem schwarz(weißen) Unglücksrabenhumor oder den vom Vampirischen ins Schwüle, Kühle, unterschwellig Satirische springenden erotischen Fantasien. Was bis zur Pause dem schönen, schieren Arrangement indes zum Opfer fällt, ist: das Grausame, das untröstlich Aberwitzige des „Prozesses“. Weil alles so ausgezirkelt wirkt, bleibt auch kaum Raum für die eigene, mitspielende Zuschauer-Fantasie. Es ist zu perfekt und hübsch, um ganz wahr zu sein.

Spannender wird es nach der Pause, weil da Kafkas Text in seiner eigenen Theatralität dominiert und die im vorzüglichen Ensemble überragende Annnette Paulmann die Titorelli-Szene des Romans zu einem Kabinettstück im Stück macht – über die nun wahrhaft grausig komische Unhintergehbarkeit eines absurden, noch im scheinbaren Freispruch gefangen und schuldig machenden Weltgerichts. Josef K. wird so zum Verwandten jenes Joseph Roth’schen „Hiob“, den die Münchner Kammerspiele gleichfalls im Repertoire ihrer Romandramatisierungen haben – und der in Johan Simons Inszenierung noch beunruhigender wirkt als diese brave, bravouröse Kafka-Schönheit.

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