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Volksbühne: Der Lenz ist da

Frank Castorf inszeniert „Die Soldaten“ an der Volksbühne. In dieser Inszenierung des Stücks von Goethe-Zeigenosse Lenz gibt es eine stille Linie.

Ein wenig Gedächtnisauffrischung kann nicht schaden. Jakob Michael Reinhold Lenz, kennt man ihn noch? Weiß man, wie bahnbrechend seine Erfindungen für das Theater waren? Und dass er, ein Zeitgenosse des jungen Goethe, vom späteren Geheimrat gemobbt wurde – so wie auch Kleist in Weimar keinen Stich bekam? Lenz, der Theaterrevolutionär, der Wahnsinnige, das arme Schwein; 1792 lag er tot in der Moskauer Gosse. Der Nachruf in der „Allgemeinen Literaturzeitung“ brachte sein Schicksal auf den brutal-einfachen Nenner: „Er starb, von wenigen betrauert, von keinem vermisst.“

Jahrzehnte später erst hat Georg Büchner – auch er ein lange Unterdrückter – ihn wiederentdeckt und in der berühmten „Lenz“-Erzählung beschrieben als emblematischen Desperado der deutschen Literatur. 1965 komponierte Bernd Alois Zimmermann nach den „Soldaten“ von Lenz seine epochale Oper. Das Werk sprengt jedes Opernhaus und wird nur alle Jubeljahre gewagt. Unvergessen der Skandal, als Hans Neuenfels Mitte der achtziger Jahre an der Deutschen Oper Berlin „Die Soldaten“ in die Schlacht schickte.

Frank Castorf produziert in letzter Zeit eher orthopädische Skandale. Dreieinhalb Stunden quält man sich mit den unbequemen Seesäcken herum, die in dieser Volksbühnen-Spielzeit die Bestuhlung ersetzen. Pausenpardon wird nicht gegeben. Und es ist auch seltsam, dass Castorf in seiner spätmelancholischen Phase auf den Stürmer und Dränger verfällt. In Zürich hat er jüngst den „Hofmeister“ inszeniert, nun „Die Soldaten“. Warum? Die Antwort geben seine Akteure. „You can’t always get what you want“ singen sie am Ende miteinander, und Mex Schlüpfer – in der Rolle des Stolzius, der geschundenen Lenz’schen Kreatur – liefert eine a-cappela-Punk-Version von Sinatras „My Way“, wenn er seine verflossene Verlobte Marie blutig rächt.

Auch wenn der Rücken nichts zu lachen hat, es ist eine Komödie, die der Volksbühnenintendant herunterklappert vor wackligen, mit Stofffetzen behängten Stellwänden. Skelettierter Boulevard. Tür auf, Tür zu, klipp-klapp. Lenzens sprunghafte Dramaturgie, die das aristotelische Theater mit Füßen tritt, erscheint uns heute wie ein alter Hut, aber damals galten seine Orts- und Zeitwechsel als irre und unspielbar. Castorfs Umgang mit diesem heißen Blut ist bräsig, und zur Soldaten-Sache selbst fällt ihm bloß eine Einblendung ein: „Heimatabend am Hindukusch“.

So wie Lenz im „Hofmeister“ die Verarmung und sexuelle Not überqualifizierter Hauslehrer anprangerte, ging er in den 1775 entstandenen „Soldaten“ mit dem Offiziersstand ins Gericht, dessen Angehörige sich einen Spaß daraus machten, bürgerliche Fräuleins zu verderben. Da lässt sich nun nichts mehr so schnell mal aktualisieren, von wegen Bundeswehr in Afghanistan, das ist nur peinlich. Es läuft dann eben auf die alte Übung tumbe Männer gegen hysterische Frauen hinaus. Margarita Breitkreiz als Marie, Ada Labahn als ihre Schwester Charlotte: Die wievielte Generation aufgekratzter Volksbühnen-Girls in Dessous ist das eigentlich schon? Die Frauen kreischen und hüpfen, die Herren Offiziere (Uwe Dag Berlin, Axel Wandtke) hocken rum, und fertig ist die Laube. Fix und fertig.

Aber es gibt in dieser Inszenierung noch etwas anderes, eine stille Linie. Wie Kurt Naumann Maries Vater spielt, der vor Angst um seine scharfe Tochter fast vergeht und sie selbst den Säbeltigern zum Fraß vorwirft – das berührt. Und es geht ans Herz, wie Bärbel Bolle – wie lange hat man sie nicht auf der Bühne gesehen – die beiden Mutterrollen fast verstummend trägt, erträgt. Das ist schön, das ist ein anderes Theater, in dem man fühlen und denken und Text hören kann. Und wie am Ende Harald Warmbrunn, der Obrist, dasitzt, wortlos, vielleicht eine halbe Stunde lang, und wie es dann mit Todesverachtung aus ihm heraustropft: „Die letzten zwanzig Minuten haben mich zehn Jahre älter gemacht.“ Szenenapplaus, Gegröle. Der Satz bedeutet, in Volksbühnen-Zeit übersetzt: Die letzten fünf Jahre haben uns alle zwanzig Jahre älter gemacht.

Und dann kommt Volker Spengler, im Abendkleid, als Gräfin. Jede Bewegung, jedes Wort: urkomisch. Hier beginnt, hier endet das Stück, das Frank Castorf nicht inszeniert hat. Manchmal lässt er, ein Akt der Verzweiflung und Befreiung, Zimmermanns Schlachtenklänge einspielen. Die maulige Schauspielerei schreit nach Musik. Nach der Sängerin Ruth Rosenfeld, die mit Sir Henry am Flügel der müden Truppe einheizt. Sie ist hier angenehm fremd und aufreizend in dem stur vor sich hin rostenden Volksbühnenpanzer.

Wieder am 5. und 11. März.

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