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Kultur: Bühnen & Bienen

Frederik Hanssen erzählt eine süße Theatergeschichte „Mutti“, fragte die kleine Tochter einer Freundin neulich, „Mutti, wer macht eigentlich die Defizite der Staatsbühnen?“ „Na ja“, antwortete die Erziehungsberechtigte, von der kindlichen Wissbegier etwas in Bedrängnis gebracht, „das ist wie mit den Blumen und den Bienen: Da gibt es Leute, die wandern von Theater zu Theater, sehen sich Produktionen an und berichten dann, wo es sich lohnt hinzugehen.

Frederik Hanssen erzählt

eine süße Theatergeschichte

„Mutti“, fragte die kleine Tochter einer Freundin neulich, „Mutti, wer macht eigentlich die Defizite der Staatsbühnen?“ „Na ja“, antwortete die Erziehungsberechtigte, von der kindlichen Wissbegier etwas in Bedrängnis gebracht, „das ist wie mit den Blumen und den Bienen: Da gibt es Leute, die wandern von Theater zu Theater, sehen sich Produktionen an und berichten dann, wo es sich lohnt hinzugehen. Genauso, wie sich im Bienenkorb schnell die Nachricht verbreitetet, wo der beste Blütenstaub zu holen ist.“ Das Mädchen war’s zufrieden, die Mutter allerdings begann nachzudenken: Wenn das Publikum die Bienen repräsentiert, sind die Kritiker in den Feuilletons dann eigentlich die Drohnen? Schließlich haben diese Kerle eine Königin, nämlich die Fachzeitschrift „Theater heute“, der sie Qualitätsvoten zuliefern und die dann Ehrenpreise ausstreut für die ertragreichste Ernte.

Ulrich Khuons Hamburger Thalia Theater wurde zum „Theater des Jahres 2002“ erklärt, die beste Schauspielerin ist Anne Tismer, der beste Schauspieler Martin Wuttke. Als „Inszenierung des Jahres“ darf Frank Castorfs Berliner DostojewskiInszenierung „Der Idiot“ gelten. Die deutsche Hauptstadt kommt überhaupt gut weg bei der Kritikerumfrage: Martin Wuttke wurde wegen seiner Leistung im „Idioten“ an der Volksbühne gewählt, Anne Tismer für die Titelrolle in „Nora“ an der Schaubühne, und der „Bühnenbildner des Jahres“, Bert Neumann, baute seine Sieger-Ausstattungen ebenfalls für Castorfs Haus am Rosa-Luxemburg-Platz.

Als die Mutter danach den Halbjahresbericht der Berliner Kulturverwaltung zur „finanziellen Entwicklung der landeseigenen Theater- und Orchesterbetriebe“ durchblätterte, wo von erschreckenden Besucherrückgängen die Rede ist (siehe Meldung unten), dachte sie bei sich: „Nur schade, dass die Bienen den Drohnen nicht so aktiv hinterherfliegen, wie man es den Berliner Bühnen wünschen würde.“ Lag es am ewigen Gemecker über den Geschmack des Honigs – der den einen zu fad, den anderen zu süß, den dritten wiederum zu dünnflüssig erschien? Oder waren die Imker im Abgeordnetenhaus schuld, die immer kleinere Gläser zur Verfügung stellten und trotzdem mehr Inhalt haben wollen? „Vielleicht brauchen wir einfach nur mehr Menschen, die öfter mutig von einem Honig kosten, den sie noch nicht kennen“, grübelte sie weiter – und beschloss, am Abend endlich einmal wieder ins Theater zu gehen.

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