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Gute alte Freunde der Antike: Mark Lammert (rechts) und Regisseur Dimiter Gotscheff, im Sommer 2009. Gemeinsam haben sie „Die Perser“ des Aischylos in Berlin und in Epidauros auf die Bühne gebracht.

© DAVIDS

Bühnenarchitekt Mark Lammert: Ein Künstler, der Räume schafft

Mark Lammert schafft Architekturen für die Bühne mit doppeltem Vorzug: Sie sind abstrakt und konkret bespielbar. Mehr noch: Sie spielen mit.

Es begann 1993 am Berliner Ensemble. Es begann mit Heiner Müller. Für dessen Inszenierung von „Duell/Traktor/Fatzer“ entwickelte Mark Lammert seine ersten Bühnenräume. Lammert greift ins dramatische Geschehen ein. Er schafft Architekturen für die Bühne, die einen doppelten Vorzug besitzen. Sie sind abstrakt, und sie sind konkret bespielbar, mehr noch: Sie spielen mit.

Am schlagendsten ist das in den „Persern“ des Aischylos sichtbar. Dimiter Gotscheff hat mit seiner Regie am Deutschen Theater Maßstäbe gesetzt, wie man mit einem Text der Antike heute umgehen kann. Vier grandiose Schauspieler stehen auf der Bühne – Margit Bendokat, Almut Zilcher, Samuel Finzi, Wolfram Koch –, und bei ihnen ist ein mysteriöses fünftes Wesen. Die Wand, Mark Lammerts Erfindung. Die gelbe Wand. Sie ist in diesem Stück über den Krieg, über Sieger und Besiegte und die mörderische Absurdität großer Feldzüge eine Allzweckwaffe: Fahne, Schutzschild, Scharnier, Szenenwechsler, Grabplatte, Zeitschleuse, Drehtür, alles gleichzeitig.

Dieses fünfte Element unterstützt das Sprechen nicht nur, es gibt den Worten ein Echo. Mangelnde Sprechkunst und Sprachgenauigkeit wird dem Theater heute oft vorgeworfen. Für Lammerts Räume gilt das nicht. Sie haben einen vollen Klang.

Mittler zwischen Theaterwelt und Natur

In Epidauros, in mythisch-mystisch aufgeladener Landschaft, haben Lammert und Gotscheff 2009 noch einmal „Die Perser“ in Szene gesetzt. Da stand wieder eine Wand, aber hochkant und in den Blautönen des Meeres und des Himmels. Mit den Farben hatte es eine besondere Bewandtnis. „Die gelbe Mauer in Berlin und die blaue Wand in Epidauros sind bemalt mit Bolusgrund“, erklärt Lammert: „Das sind die Farben, die schon die Griechen kannten. Das verwenden heute Leute, die Rahmen bauen und sie dann vergolden. Das wird unter das Gold gelegt und das ist eine reine natürliche Erde. Deshalb reagieren diese Farben völlig anders, wenn sie auf festen Materialien sind, als jede synthetische Farbe, die normalerweise im Theater verwandt wird. Sie trinken das Licht. Das natürliche Licht genauso wie das Scheinwerferlicht.“ Und wie in Berlin funktionierte das mächtige Werkstück auf magische Weise als Mittler zwischen Theaterwelt und Natur. Das blaue Segel ruht auf einem drehbaren Lager und ist mit einer unsichtbaren, tonnenschweren Metallplatte ausbalanciert.

Mark Lammert ist Maler und Zeichner, er wurde 1960 in Berlin geboren. Heiner Müller war für ihn prägend, und das kann man auch von Dimiter Gotscheff sagen. So haben sie zueinandergefunden, zwei lachende Pessimisten und menschenfreundliche Katastrophiker. Der Regisseur Gotscheff hat von dem Freund einmal gesagt, er sei „der beste Mitdenker und Dramaturg“, der ihm begegnet sei: „Es sind nicht nur die Bilder und Farbe, prägend ist auch, wie er den Text auf seine Weise entblättert.“

Dieses Gotscheff-Zitat gibt dem beeindruckenden Band „Mark Lammert. Bühne Räume Spaces“ (Verlag Theater der Zeit, 208 Seiten, 40 Euro) das Motto. Nicht nur Lammerts Bühnenarbeit ist dort festgehalten, sondern auch die Bewegung, die in seinen Materialien steckt. Für „Anatomie Titus Fall of Rome“ am Deutschen Theater ersann er einen gelben Vorhang, der sich selbständig machte – der Knoten bildete und Haufen, Wolken und Gewänder. Der über die Schauspieler kam wie ein Sturm oder eine schützende Umhüllung.

Tisch, Wand, Stab, Tuch: Lammert führt das Bild der Bühne auf Urformen zurück.

„Prometheus“ im Sommertheater auf den Treppen der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz fand sein Symbol, sein Zuhause bei einer hohen Stange. Abstraktes Totem, Klettergerät, Pfahl im Fleisch – Lammerts Bühnen und Objekte wecken vielfache Assoziationen. Aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, nahm die Stange des an den Fels geschmiedeten Prometheus, der den Menschen so viel Gutes gebracht hat und von den Göttern dafür bestraft wurde, die Spitze des Fernsehturms am Alexanderplatz auf. Die Leidenschaft für die Antike verband Lammert mit Gotscheff und Müller. Was haben sie dort gesucht, bei den attischen Klassikern?

Mensch und Geschichte, Individuum und Mythos sind nirgendwo so komplex und klar ausgestellt wie bei Aischylos, Sophokles, Euripides. Zu deren Zeit kam das Theater in die Welt. Lammert führt das Bild der Bühne auf gewisse Urformen zurück: Tisch, Wand, Stab, Tuch. Seine Lösungen wirken einfach und klassisch in dem Sinne, dass sie Statik, Dynamik und Landschaft in sich tragen, wie eine Säule.

Im Haus der Berliner Festspiele findet sich während des Theatertreffens eine Wand mit Zeichnungen von Lammert. Zarte Striche auf Notizpapier, kreisende Formen, Spiralnebel, aus denen sich menschliche Züge herausschälen, ein vertrautes Gesicht: Gotscheff. Der so vermisste Bulgare mit dem griechischen Herz und dem deutschen Kopf und der Dialektik im Blut – wer weiß das schon genau? – ist in Lammerts Skizzen nicht weniger abwesend als präsent. So wird es an manchen Abenden sein.

Jetzt proben sie auch wieder. Samuel Finzi und Wolfram Koch spielen Wladimir und Estragon. Mark Lammert macht die Ausstattung. Ivan Panteleev inszeniert. Sie wollen zu Ende bringen, was Gotscheff nicht mehr geschafft hat, Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Premiere ist am 6. Juni bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, in der nächsten Spielzeit kommt die Aufführung ans Deutsche Theater nach Berlin. Warten auf Mitko, das hat nun keinen Sinn mehr. Aber vielleicht kommt sein Geist. Nicht nur Lammert trägt ein Stück Gotscheff mit sich. Und wer ist schon dieser Godot?

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