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Der Musiker Phil Collins im Studio.

© Warner

Bühnencomeback von Phil Collins: Geist aus der Flasche

Einst war Phil Collins überall, dann wurde er gehasst, jetzt kehrt er auf die Bühne zurück. Ab Sonntag spielt er fünf Konzerte in Köln. Ein Versuch, das Phänomen zu fassen.

Wem der Teufel einen Gefallen tut, den macht er groß, ohne dass er einen Grund dafür nennt. Phil Collins wurde dieser Gefallen getan. Der Teufel ist ein fieser Pragmatiker, er liebt seinesgleichen.

Natürlich hat das dem Erwählten nicht gutgetan. Er hatte ein paar gute, sehr gute Jahre, aber mit Beginn des 21. Jahrhunderts brach das mephistophelische Arrangement zusammen, das einem Mann ohne Aura die Überhöhung zum Superstar hatte zuteilwerden lassen. Die Leute fragten sich: Wenn wir seine Musik schon ständig und überall hören, was rechtfertigt diese Omnipräsenz?

Die Antwort hatte leider nichts mit Phil Collins zu tun. Es sei nicht sein Fehler gewesen, sagte er 2011, dass ihn die Leute satthatten. Seine Präsenz sei maßlos gewesen. Am Ende seines sagenhaften Aufstiegs fraß seine Musik sich selbst auf. Es war ein Akt autoaggressiven Konsums. Musik ergreift von Menschen auf eine Weise Besitz, dass sie sich ihrer oft erwehren müssen, indem sie, was sie geliebt haben, verstecken und unzugänglich machen. Wie ein Trauma.

Die strukturelle Nähe von Trauma und Pophit ist unübersehbar. Beides baut den Körper um, das reicht bis ins Zucken der Glieder und ist Quelle eines unversöhnlichen Selbsthasses. Die Dauerbeschallung mit „In The Air Tonight“, „You Can’t Hurry Love“ oder „Another Day in Paradise“ hinterließ eine Generation von Phil-Collins-Traumatisierten, niederkartätscht vom Formatradio. Gegen die Entwertungsdynamik der Popkultur, in der jede Mode überflügelt und abgelöst wird von einer neuen Mode, einem neuen Trend, setzt es die Utopie des Unvergänglichen. Es hasst die Exzentrik der Kunst.

Auf den Stock gestützt, die Stimme gebrochen

Umso erstaunlicher ist, mit welcher Herzenswärme der Sänger nun über zehn Jahre nach seinem Rückzug wieder empfangen wird auf den Bühnen riesiger Hallen, die er mühelos ausverkauft. Vier Abende in London, fünf in Köln, wo er ab Sonntag die Lanxess-Arena bespielt. Was geht da vor? Dass Pop zur Kultur der ewigen Wiederholung geworden ist (Stichwort Retromania), kann das nicht erklären. Denn wieso sollte wiederkehren, was so kollektiv verbrämt worden ist, dass der „Guardian“ Collins sogar als den „Star, den niemand liebte“ bezeichnete?

Die ihn zum Auftakt der Konzertreihe gesehen haben, sprechen von einem über die Maßen gealterten 66-Jährigen, der sich beim Gehen auf einen Stock stützt, der auf einem Stuhl im Rampenlicht sitzt, dessen Stimme gebrochen ist, was seinen Balladen mehr Wahrhaftigkeit verleihe, immerhin.

Als seine dritte Ehefrau, deretwegen er in die Schweiz gezogen war, 2008 mit den gemeinsamen Kindern nach Florida ging, da entdeckte er den Alkohol als Zuflucht. Deutlich zu spät in seinem Leben, um ihn unbeschadet zu überstehen. Das Zeug machte ihn fertig. Er überlebte nur knapp. Heute ist er der alte Mann, der im Hotelzimmer stürzt, sich am Kopf verletzt, weshalb zwei seiner London-Gastspiele verschoben werden mussten; aber er tritt auch auf als der, dem es nicht um Korrektur geht. Er tritt als Gescheiterter vor sein Publikum. Das ist bitter. Diesen Anblick des an Nervenleiden laborierenden Musikers der Öffentlichkeit nicht zu ersparen, verdeutlicht, wie wenig wir Helden noch nötig haben.

Nach dem Abgang von Peter Gabriel rückt Collins nach vorn

Phil Collins, Sohn eines Versicherungsvertreters, aufgewachsen in London, war nie eine glanzvolle Persönlichkeit. Vielmehr ein „Easy Lover“, ein Jedermann, der die Dinge gerne leichtnahm und den der Zufall, oder besser: der Eigensinn eines Exzentrikers wie Peter Gabriel aus dem Bühnenhintergrund, wo sein Schlagzeug stand, ins Rampenlicht gerückt hatte. Denn als Gabriel Genesis 1975 verließ, war es an Collins, dessen Rolle einzunehmen. Gerade erst hatte die Band mit „The Lamb Lies Down On Broadway“ ihren kreativen Zenit erreicht, doch um den Preis, dass Gabriel die Macht an sich gerissen hatte, die er kurz darauf gar nicht mehr ausüben wollte. Nach Jahren des psychedelischen Irrsinns musste ausgerechnet der Schlagzeuger für Stabilität sorgen. Er dirigierte die Band in die Charts, wo sich das Trio ab 1983 mit Hits wie „Mama“, „Invisible Touch“ oder „Land Of Confusion“ festsetzte.

Phil Collins verfiel einem gespenstischen Produktivitätsrausch, haute in schneller Folge perfekt arrangierte Songs raus, trieb parallel auch seine Solokarriere voran, als müsse er zwei Pferde unterschiedlichen Temperaments vor denselben Wagen spannen.

Schon auf seiner zweiten Soloplatte fühlte er sich missverstanden angesichts der anhaltenden Schmähungen. „I Don’t Care Anymore“, sang er wutentbrannt, und dass er sich ohnehin nie um das gekümmert habe, was man über ihn sage. Na klar, auch das ein Hit. Das Formatbedürfnis hatte in Phil Collins seinen idealtypischen Protagonisten gefunden.

Phil Collins erfüllt die Sehnsucht nach dem verlässlichen Normalo

Der Musiker Phil Collins im Studio.
Der Musiker Phil Collins im Studio.

© Warner

Mit 250 Millionen verkauften Platten – als Bandmitglied von Genesis wie als Solomusiker – bewegt er sich in derselben Liga wie Paul McCartney und Michael Jackson, denen derselbe Monumentalerfolg gelang. Aber im Unterschied zu ihnen hat er die Popmusik kein Stück weiterentwickelt.

Langweiler hat es in der Popmusik allerdings immer wieder gegeben. Ed Sheeran, Chris Martin, Katy Perry oder Adele stehen heute für den Typus des Durchschnittsstars, der sich durch (fast) nichts von seinen Verehrern abhebt. Er erfüllt die Sehnsucht nach dem verlässlichen Normalo, dem die eigene Berühmtheit nichts anhaben kann. Und warum sollte sich in Zeiten des abnehmenden Lichts, da Musik immer weniger an Lebensstile gekoppelt ist, noch jemand über die Masse erheben wollen?

Phil Collins selbst war allerdings nie der Ansicht, konventionelle Musik zu machen. Seine Leidenschaft für Soul ließ ihn die feurigen Bläserriffs von Earth, Wind and Fire („I Cannot Believe It’s True“) oder die verschachtelten Beats von Michael Jackson und dessen Produzent Quincy Jones nachbauen („Sussudio“).

Versöhnlichkeit statt Drama

Sein minimalistischer Umgang mit Drumcomputern setzte Maßstäbe. Wie er im zweiten Teil von „In The Air Tonight“ als kraftstrotzendes Beatbiest über den synthetischen Wolkensound herfiel, verriet mehr vom Temperament dieses Mannes als jedes Interview. Trotzdem kann man nicht behaupten, dass Rhythmen das hervorstechende Merkmal der Musik dieses Ausnahmeschlagzeugers sind. Ohne die Melodien und das unscheinbare Wetterleuchten in den Kulissen seiner Songs wären sie nichts.

Doch waren diese Songs nicht für die Extreme gemacht, in die der dünnhäutige Collins durch seinen Erfolg katapultiert wurde. Es gelang ihm nicht, sie als Resonanzraum für sein Drama zu benutzen. Sie gerieten ihm stets zu versöhnlich. Selbst auf dem Album, „Hello, I Must Be Going“ war das der Fall, als er den Ärger über die Vorwürfe zu verarbeiten versuchte, die ihm seine erste Ehefrau nach der Trennung in ihren Briefen machte. Er dachte stets, dass die Leute einen schon verstünden, wenn man bei der Wahrheit bliebe. Sollte ihn also wirklich der Mangel an Verehrung fertiggemacht haben?

Sicher, Erfolg kann ein mieser Gefährte sein. Nicht mal richtig beklagen kann man sich als der Multimillionär, der Collins noch immer sein dürfte. Hat er nicht alles? Schwimmt in Geld, ist frei zu tun, was ihm beliebt. Nicht mal seinen ohnehin schlechten Ruf könnte er noch ruinieren. Was ist da schon das bisschen fehlende Anerkennung?

Sein Konterfei ziert alle seine Soloalben

Eine naheliegende Option in dieser Lage wäre gewesen: Dekadenz. Aber die stand Collins nicht offen, der alle seine Soloalben mit einem schlichten Konterfei seiner selbst zu versehen pflegte. Stets derselbe runde Kopf. Von vorne fotografiert, einmal im Halbprofil, ausdruckslos blickend. Als er die Alben von „Face Value“ (1981) bis „Both Sides“ (1993) in einer digital überarbeiteten Version abermals herausbrachte, ließ er sich in denselben Posen noch einmal ablichten, nun deutlich gealtert, die Wangen eingefallen, der Blick nicht mehr ganz so hart. Nichts beschönigend. Er war keiner, der sich hinter eine Pose zurückzog. Nicht mal die des schlecht gelaunten, missverstandenen Genies. Und hat er nicht auch mit Wesentlichem, das er zu sagen hatte, recht behalten? „You Can’t Hurry Love“. Stimmt doch.

Jedes Mal, wenn eine Ehe in die Brüche ging, reiste er der Frau hinterher. Bot sich an. Das klappte gelegentlich nicht, zuletzt funktionierte es. So falsch kann einer als Mensch nicht sein, der mit seiner dritten Ehefrau nach der Scheidung wieder zusammenzieht.

Vor allem geht es bei diesem Comeback darum, dass da einer, der nur ein Karrieremodell verkörperte, mit einer Geschichte aus dem Pop-Olymp in die Welt zurückkehrt. Wenn es auch keine rührende Geschichte ist, so beendet sie doch sein Dasein als geisterhaftes Wesen. Er singt die alten, die oft, viel zu oft gehörten Zeilen: „Take a look at me now.“

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