zum Hauptinhalt

Kultur: Bürger ohne Staat

Nochmal Slowenien: die Künstlergruppe „Irwin“ in Berlin

Wenn es ein Motiv gibt, von dem ein ambitionierter zeitgenössischer Künstler wohl besser die Finger lassen sollte, dann ist es der röhrende Hirsch. Auch Volkstanzeinlagen stehen nicht wirklich hoch im Kurs. Anders ist es bei der Künstlergruppe Irwin. Auf deren Bildern im Künstlerhaus Bethanien wird geröhrt, gesät und im Kreis getanzt, da werden Fackeln getragen und Madonnenbilder in archaische schwarzen Rahmen gesteckt. „Retroprincip“ nennen die fünf Slovenen ihre Arbeitsweise. Für sie kein Stil oder Trend, „sondern ein Denkprinzip, eine bestimmte Verhaltens- und Handlungsweise.“

Das postmoderne Prinzip des Zitierens und der Wiederholung ist das zentrale Motiv der Künstler Dusan Mandic, Miran Mohar, Andrej Savski, Roman Uranjek und Borut Vogelnik, die 1983 „Irwin“ gründeten. Es ist im direkten Kontext der „Neuen Slovenischen Kunst“ zu lesen, einem 1984 entstandenen Künstlerkollektiv, zu dem neben „Irwin“ auch eine Theater- und Designergruppe gehören sowie die seit 1980 existierende Gruppe Laibach, deren totalitäre Bühneninszenierungungen zeitweise sogar verboten waren. Nach dem Prinzip des Sampelns wird von den Mitgliedern der „NSK“ alles wild gemischt: faschistische und kommunistische Symbolsprache, aber auch Elemente einer künstlerischen Avantgarde.

Der Umgang mit dieser kollektiven Retro-Kunst verunsichert durchaus. Es fehlen dem westlichen Rezipienten immer noch die Raster, sie zu beurteilen, obwohl Irwin inzwischen mit Ausstellungen von Pittsburgh oder Ljubljana bis zur Biennale in Venedig zu den erfolgreichsten osteuropäischen Künstlerkollektiven gehört. Angesichts der schwarzen Malewitsch-Quadrate, die auf einem Gruppenporträt von Irwin zum Hitlerbärtchen werden, oder der mobilen Passausgabestelle für den territoriumslosen „NSK-Staat in der Zeit“, der 1991 parallel zur Unabhängigkeitserklärung Sloweniens gegründet wurde, möchte man fragen: Meinen die das ernst? Oder ist diese Kunst ironisch gemeint, und alles nur ein Witz?

Dieser Arbeitsweise liegt eine subversive Strategie zu Grunde, die der slovenische Philosoph Slavoj Zizek einmal als „Überidentifizierung“ bezeichnet hat. Ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise ist der Fackelträger, mit dem die NSK 1987 an einem Plakatwettbewerb für den „Tag der Jugend“ teilnahm. Im damaligen Jugoslawien wurde dieser Tag, Titos Geburtstag, im ganzen Land angekündigt und mit einem Staffellauf besonders gefeiert. Der Entwurf konnte sich vor einer hoch offiziellen Jury gegen die Konkurrenz durchsetzen und löste einen der größten Kunstskandale des Landes aus – denn der muskulöse Fackelträger gehörte ursprünglich zur „Allegorie des Heldentums“ des nationalsozialistischen Propagandakünstlers Richard Kleins. Eine Folge des Skandals war die Abschaffung des Feiertages. Die Arbeit des Künstlerkollektivs deswegen als zielgerichtete politische Aktionskunst zu begreifen, wäre verkürzt. Mit feinem Spott bezeichnen sich Irwin sogar selbst gern als „Staatskünstler“, die einen slovenischen Kunstkanon erarbeiten, ohne sich aber davon vereinnahmen zu lassen.

„Was ist Kunst?“ heißt dann auch eine Serie, die seit 1985 stetig wächst. Waren es anfangs selbstgefertigte Kopien von Gemälden aus der osteuropäischen Kunstgeschichte, hängen in der Berliner Ausstellung zwölf Leihgaben aus deutschen Museen („Was ist Kunst Deutschland“). Mit neuen Rahmen versehen repräsentieren sie wichtige Strömungen der deutschen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, zeigen aber auch deren Begrenztheit. Die konkrete Auseinandersetzung mit der eigenen Avantgarde reicht bei Irwin bis zu peniblen Kartografien der osteuropäischen Kunstgeschichte, die mit realen Künstlern und Werken ebenso eine Behauptung ist, wie die uns wohl vertraute Kunstgeschichte des Westens.

Ebenso wie die Hängung von Originalen eine kosequente Weiterentwicklung von Irwins Prinzip der Approbiation Art ist, dokumentiert – der Aura des Echten maximal entgegengesetzt – oft nur ein Foto ihre unangekündigten Aktionen, wie etwa „Black Square on Red Square“. Das verschwommene Foto lässt die visuelle Kraft des temporären Bildes gerade noch erahnen, das entstand, als Irwin 1992 ein 484 Quadratmeter großes schwarzes Stoffquadrat auf dem Roten Platz in Moskau ausbreitete.

Inzwischen hat der selbstgegründete „NSK-Staat in der Zeit“ über 2000 Mitglieder, dreimal so viel Einwohner wie der Vatikan. Verbirgt sich dahinter ein stiller Aufbruch in neue Gesellschaftsformen? Irwin selbst beantwortet die Frage nach den Hintergründen ihrer Arbeit ganz schlicht: „Wir behandeln die Zeichen, die für Suprematismus, Nazikunst, Pop-Art und Sozialistischen Realismus stehen, genauso, wie Cézanne Äpfel in einem Stillleben behandelt hat.“

Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 26. Oktober. Die Ausstellung wandert anschließend ins Karl Ernst Osthaus-Museum Hagen, ins Museum of Contemporary Art Belgrad und in die Galerija Skuc in Ljubljana.

Katrin Wittneven

Zur Startseite