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Kultur: Bürger und Revolutionäre Janowski mit dem RSB

beim Musikfest Berlin.

Ein groß angelegtes orchestrales Musikfest unter das Motto „Amerika“ zu stellen und damit die Vereinigten Staaten zu meinen, ist von Natur aus eine heikle Aufgabe. Da ist man auf gewagte dramaturgische Pirouetten angewiesen. So hat Sergej Rachmaninows 3. Klavierkonzert mit dem gemeinten Amerika nur insoweit zu tun, als Gustav Mahler das Stück 1909 in New York uraufführte, als Rachmaninow noch nicht einmal im amerikanischen Exil war. Eine der gefühlt zehn Millionen Wiederaufführungen besorgte am Donnerstag das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in der Philharmonie.

Der russische Superstar Nikolai Lugansky absolvierte die Tour de Force am Klavier mit einer erstaunlichen Routiniertheit. Zwar überspielt er die unheimliche Kraftanstrengung mit seiner schnellfingrigen Virtuosität, für die er zu Recht gefeiert wird. Inhaltlich bleibt sein Spiel aber eher blässlich: Er hangelt sich von einem zum nächsten musikalischen Doppelpunkt, wonach aber keine großartigen neuen Ideen anfangen. Lugansky verzichtet in fabelhafter Übereinstimmung mit RSB-Chef Marek Janowski auf sehr viele der üblichen Sentimentalitäten, übertreibt die Schwülstigkeiten nicht durch zusätzliche agogische Manieriertheit. Fast könnte man annehmen, er wolle mit seiner abgeklärten Klangsprache auf die Architektur des Werkes hinweisen, nicht auf seinen Schmachtgehalt.

Klar wird dadurch aber auch: Das interessantere Stück ist da bereits verklungen. Denn Hans Werner Henzes 6. Sinfonie ist ein selten aufgeführtes Ungetüm für zwei Parallelorchester, die letztlich als Selbstporträt eines dialektischen Denkers zu verstehen sind. 1969 in Kuba entstanden, will die Sechste den Widerspruch zwischen (missglückter) Revolution im kommunistischen Lager und unbelehrbarer Bürgerlichkeit im Westen synthetisieren. Janowskis Orchester gelingt es meisterhaft, diesen ängstlichen Schrei des Scheiterns zu verlebendigen. Am Ende bleibt Henze Zaungast und kann sein sympathisierendes Bekenntnis nur gefärbt und nicht authentisch musikalisieren. Christian Schmidt

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