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Kultur: Buh, Sie Antisemit!

Szenen vom Literaturfestival Berlin: Jostein Gaarder und die Libanesin Iman Humaidan

Eben erst hat er, schwarz gekleidet, die Bühne im Haus der Berliner Festspiele betreten, da wird Jostein Gaarder schon aus dem Saal heraus angegriffen: „Buh! Sie Antisemit!“Aufgeregt widerspricht der norwegische Starautor („Sofies Welt“), zieht aber trotz Mikrofon den Kürzeren. „Wir erkennen den Staat Israel nicht mehr an“, zitiert der stimmgewaltige Mann aus Gaarders Zeitungsartikel während des Libanonkriegs (nicht autorisierte englische Übersetzung unter http://www.boomantribune.com). Um ihn zum Schweigen zu bringen, klatscht das verärgerte Publikum rhythmisch. Gaarder fühlt sich an „böse historische Episoden in Europa“ erinnert, hält eine „Aftenposten“-Ausgabe hoch und liest die ersten Zeilen eines Essays, in dem er seine Äußerungen relativiert: Er sei ein Freund der Juden, wenn auch kein Freund von Israel. Freundlicher Applaus, dann lautstarker Protest und genervtes Klatschen des Publikums. Einer ruft: Antisemit zu sein sei doch nicht schlecht. Moderator und Festivalleiter erinnern daran, dass ein Gespräch erst nach Gaarders Vortrag „Gebt der Fantasie Nahrung“ geplant sei. Kurz darauf gehen die Protestler.

Gaarder beginnt sein Referat auf Deutsch und kreist dabei vor allem um drei Punkte. Erstens: Erzählen ist die „Muttersprache“ aller Menschen. Zweitens: Fernsehen, Kino, Computer, Internet und Handys sind „böse“, sie halten vom Erzählen ab, spalten die Familien und erzeugen bei Kindern wie Erwachsenen „Langeweile, Ideenlosigkeit, Ohnmacht, Nihilismus“. Und drittens: „Gebt ihnen Bücher!“ Lesen und Vorlesen sind gut für Fantasie und Familie. Gaarder trägt seine Erkenntnisse staunend wie ein Kind vor. Schreibt er seine Bücher denn nicht mit dem bösen Computer, wird er gefragt? Jein, sagt er da, Ideen sammle er im Wald, auf dem Computer formuliere er sie nur aus.

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Zwar schrieb sie auch schon vor dem Krieg, doch als die Bomben explodierten und die Kämpfe sich hinzogen, jahrelang, wurde Schreiben „die einzige Art, Nein zu sagen“, erinnert sich Iman Humaidan. Sie spricht vom Libanesischen Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 fünfzehn Jahre lang das Leben unter Feuer hielt – und sie, eine junge Soziologie-Studentin in Beirut, zur Schriftstellerin machte. Denn Iman Humaidan schrieb und schrieb und verfeinerte dieses Neinsagen immer bildreicher, bis ein Roman vor ihr lag.

„B wie Bleibe wie Beirut“ erzählt in einfacher Sprache und mit lakonischem Witz aus vier Frauenperspektiven das männerlos gewordene, libanesische Familienleben vor und während jenes Krieges. Doch als Humaidan nun im Haus der Berliner Festspiele die Geschichte des hellwachen Mädchens Carmila daraus liest, geistert eher das jüngste Bombardement von Beirut durch die Köpfe der Zuhörer. Erstaunlicherweise findet Humaidan, danach gefragt, kaum Worte. Resigniert spricht sie von Sprachverlust durch „Mainstream-Medien“ und der Notwendigkeit, Wörter erst ganz neu zu überdenken. Dabei hat der unbestechliche, im klügsten Sinne naive Mädchenblick ihrer Carmila das immer getan. Wer so genau die hohle Herrschsucht der Onkel und Väter, die Gehässigkeiten und Sehnsüchte der Tanten und Großmütter durchschaut, der muss CNN nicht fürchten. Doris Meierhenrich

Heute lesen im Haus der Berliner Festspiele u.a. Moritz Rinke aus seinen im Tagesspiegel erschienenen „Pool-Novellen“ und Péter Zilahy (16 Uhr).

Jörg Plath

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