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Bundespräsidentschaftskandidat: Gauck in Berlin: Hallo, ihr Menschen!

Ein Abend mit Joachim Gauck im Berliner Radialsystem zeigt, wie die unwahrscheinliche Aussicht, jemand könnte einem politischen Amt tatsächlich gewachsen sein, Menschen zu euphorisieren vermag..

Die Nähesuche zwischen Politikern und Künstlern zählt verlässlich zu den peinlicheren Phänomenen der Wahlkampfinszenierungen, an die man sich gewöhnt hat, hierzulande jedenfalls, wo nur die provinzielle Schrumpfform der „Yes, we can“-Euphorie existiert. Die Veranstaltung allerdings, die im Radialsystem unter dem schnörkellosen Titel „Bürger / Künstler / Joachim Gauck“ stattfindet, fällt aus dem Rahmen. Vermutlich, weil sich Joachim Gauck zum einen nicht auf gewöhnlicher Partei-Promotiontour befindet, und zum anderen gar kein Politiker ist. Und wenn es nach dem Willen seiner Unterstützer ginge, dann würde auch keiner aus ihm, sondern ein Bundespräsident, der sich die Déformation professionelle der gemeinen Polit-Kaste weiterhin vom Leib hält. Im Grunde bringt es die Schauspielerin Ursela Monn an diesem Abend auf den Punkt, wenn sie mit treuherzigem Augenaufschlag verkündet: „Am schwierigsten ist es immer, in einer Rolle wahrhaftig zu sein.“

Die Initiative für diese eintrittsfreie, beachtlich überfüllte Gauck-Feier, die Menschen aller Altersklassen mit „Gebt die Wahl frei“-Buttons zusammenführt und die der Bürgerrechtler selbst „ein spontanes Sommerfest für die Demokratie“ nennt, geht von einer Facebook-Community aus, die bereits 35 000 Unterstützer zählt und bezeichnenderweise vom FDP-Mitglied Christoph Giesa ins Leben gerufen wurde. Die integrative Kraft des Kandidaten Gauck beweist sich aber auch daran, welche Künstler in seinem Namen auftreten. Ein Maxim Biller, der es „superobergenial“ fände, wenn Gauck Präsident würde, weil der so cool sei wie Vaclav Havel, findet sich neben dem Berufsbesserwisser Bastian Sick mit seinem Sprachpflegefuror wieder. Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel singt Lieder mit Zeilen wie „Meine Nation sind die Liebenden auf der ganzen Welt“, während der Dramatiker Albert Ostermeier Auskunft zur Frage gibt, welche Position der Kandidat wohl innehätte, wenn er Fußballer wäre (klar: „Spielmacher“) – und aus all dem hört man unglaublicherweise ein ernsthaftes Engagement heraus.

Und Gauck selbst? Hält eine solide Rede, die er nicht dem staatstragenden Standard „Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger“, sondern mit einem schlichten „Hallo, Menschen!“ einleitet, und die, wie man es von ihm kennt, ein Loblied auf Freiheit, Demokratie, das Grundgesetz und den Mut der Menschen in Ost und West wird. Sie enthält Sätze, die wie aufgekrempelte Ärmel klingen („Lasst uns diesen Staat zusammen machen“), und die man ihm, das ist wieder der Unterschied zum etablierten Betrieb, tatsächlich abnimmt. Überhaupt führt dieser Abend in erster Linie eines vor: wie die unwahrscheinliche Aussicht, jemand könnte einem politischen Amt tatsächlich gewachsen sein, Menschen zu euphorisieren vermag. Patrick Wildermann

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