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Kultur: Bundeswehr: Achtung

Der Polizeitransporter mit den vergitterten Scheiben steht schon seit Tagen vor dem Bendlerblock. Wer das Mahnmal für die Widerständler des 20.

Von Robert Birnbaum

Der Polizeitransporter mit den vergitterten Scheiben steht schon seit Tagen vor dem Bendlerblock. Wer das Mahnmal für die Widerständler des 20. Juli 1944 besuchen will, zieht misstrauische Beamtenblicke auf sich. Das öffentliches Wehrpflichtigen-Gelöbnis am heutigen Freitag wirft seine Schatten voraus. Die Zeremonie soll, sagt der Verteidigungsminister, die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft verdeutlichen. Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden, wird die Ansprache halten. Und doch sind Sinn und Zweck von Fackelschein und Großem Zapfenstreich längst nicht nur bei den paar Hand voll militanten Störern umstritten, die solche Anlässe regelmäßig anziehen. Das Unbehagen am Ritual ist breiter fundiert, und es speist sich aus Veränderungen in der Armee wie in der Gesellschaft.

In seinem Ursprung geht das Gelöbnis, wie so viele später zweifelhaft gewordene Institutionen, auf eine urdemokratische Tradition zurück. Detlef Bald, früherer Chef des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr-Universität München, hat 1998 in einem Vortrag darauf hingewiesen, dass die ersten Gelöbnisse unter freiem Himmel aus den Freiheitskriegen Anfang des 19. Jahrhunderts überliefert sind - Rütli-Schwüre der bürgerlichen Revolutionäre der frühen Neuzeit. Doch wie das Bürgerheer wurde auch das Ritual bald in den Dienst der preussischen Zentralmacht gestellt und, so Bald, "Teil des umfangreicheren Prozesses zur Militarisierung der Gesellschaft" - ein Prozess, dessen trauriger Höhepunkt gerade erst ein halbes Jahrhundert zurückliegt.

Die Bundeswehr übernahm, was dereinst "Fahneneid" hieß, in ihren Traditionsbestand. Seither ist (fast) jeder Rekrut, zumeist auf einem Kasernenhof, in Reih und Glied angetreten und hat feierlich gesprochen: "Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen." Die Profis, Berufs- und Zeitsoldaten, legen das gleiche Versprechen als Schwur ab, und wer mag, kann ihn mit der religiösen Formel bekräftigen: "So wahr mir Gott helfe". Der Soldaten-Eid ist nicht so einzigartig, wie er erscheinen mag: Auch der Beamte schwört auf die Verfassung, auch Bundeskanzler, Ministerpräsidenten, Minister heben die Hand zum Schwur. Aber selbst wenn sie es öffentlich tun wie die Politiker - es bleibt ein kurzer, ein ziviler Akt.

Es ist dunkel geworden am Abend des 26. Juni 1995 im Bonner Hofgarten. Die Bundeswehr feiert ihr 40-jähriges Bestehen. Sie feiert es mit einem öffentlichen Gelöbnis. Ein Scheinwerferkegel erfasst die drei Männer vorne auf dem Podium: Der Kanzler, der Bundesminister der Verteidigung, der Generalinspekteur. Das helle Licht ist wie ein Signal. Hunderte, vielleicht tausende Trillerpfeifen heben zu einem gellenden Lärmen an. Eine alte Dame in hellem Kostüm hält sich die Ohren zu. Sie schüttelt den Kopf. "Müssen die denn auch dieses Brimborium veranstalten?" sagt sie. "Die" sind nicht die Demonstranten. "Die" meint die Politiker.

Der Streit um das Gelöbnis ist ein Streit um Symbolisches. Dass der Staatsbürger in Uniform sich auf den Dienst am Staat verpflichtet, ist im Kern gar nicht so sehr umstritten. Umstritten ist, ob daraus eine Demonstration von Staats wegen werden soll. Und umstritten ist diese Kundgebung nicht ganz zufällig vor allem, seit der zweite Teil des Gelöbnis-Spruchs in der Realität immer weiter in den Hintergrund getreten ist: seit die Bundeswehr sich von der Landesverteidigungs- zur politischen Armee wandelt.

Seither hat sich das Selbstbild der Armee und der Blick der Gesellschaft auf sie grundlegend verändert. Vorbei die Zeiten, in denen in den Schulen der "Streitkräftevergleich Nato - Warschauer Pakt" zum Lehrstoff zählte. Vorbei die Zeiten, in denen Wehrdienstverweigerer sich vor Prüfungskommissionen auszumalen hatten, ob sie auch dann nicht zur Waffe greifen würden, wenn ein Russe mit Kalaschnikow im Anschlag auf Frauen und Kinder losstürzte. Das Klima der allgegenwärtigen Bedrohung, Atomkriegsszenarien, Nachrüstungsdebatten - für die Rekruten von heute ist das schon graue Vorzeit.

An die Stelle der alten sind neue Bilder getreten. Der Pionier, der die Brücke von Mostar befestigt. Der Sanitäter, der die Kinder von Belet Huen versorgt. Die deutschen Kfor-Soldaten in ihren Panzerwagen, denen die Menschen beim Einmarsch in Prizren Blumen entgegenstrecken.

Auch die Debatten von heute sind anders, nüchterner. Der Verteidigungsminister kann seinen Ruf nach mehr Geld für den Wehretat nicht mehr mit Überlebensfragen begründen, sondern hat sich gegen konkurrierende Interessen durchzusetzen: Deutschlands Rolle in der Weltpolitik versus Sparziele, Bildung, Kindergeld. Das stärkste Argument der Militärs für die Wehrpflicht ist ein pragmatisches: Die Gewinnung geeigneten Nachwuchses für den Profi-Teil der Armee, der ja allein die Einsatzaufgaben bewältigen muss.

Die Truppe, hat unlängst ein hoher Militär illusionslos festgestellt, sei heute im Bewusstsein der meisten Bürger "so etwas wie eine Sonderform der Feuerwehr": Techniker mit Spezialausbildung für das Verhalten in unzivilisiertem Umfeld. Manches spricht dafür, dass diese neue, technokratische Aufgabendefinition erheblich mehr zu dem diffusen Unbehagen am bedeutungsschweren Gelöbnis-Ritual beiträgt als die früheren Bedenken, die auf anti-demokratische Anklänge des Aufmarschs in Reih und Glied abzielen. "Soldaten müssen sich nicht hinter Kasernenmauern verstecken", hat Rudolf Scharping gesagt, als er im sächsischen Marienberg zum ersten Mal als Minister ein öffentliches Gelöbnis abnahm. Aber diese trotzige Haltung ist vielleicht genauso nur ein Reflex auf alte Zeiten wie der traditionslinke Protest, der im Kosovo-Einsatz heute und im Mazedonien-Einsatz morgen nur eine "Militarisierung der Politik" erkennen will.

Was will das öffentliche Gelöbnis heute beweisen? Es spricht einiges dafür, dass die Bundeswehr jener Verankerung in guten und richtigen anstelle der schlechten und falschen Traditionen, auf die Scharping seit seinem Amtsantritt viel Wert legt, gar nicht mehr so dringend bedarf.

Dass die "Traditionsstuben" und gewisse Wehrmachtsgeneräle als Namensgeber von Kasernen verschwinden, ist gut so. Aber die Armee schafft sich ihre guten Traditionen ohnehin gerade selbst: In Prizren und in Tetovo und in Sarajewo. Für dieses stille Heldentum des Alltags, für die Straßenposten und die Brunnenbohrer wirkt der Große Zapfenstreich als Symbol arg bombastisch. Die Feuerwehr ist ja inzwischen auch von der Marschmusik ein wenig abgekommen. Feiern kann sie trotzdem. Und das ganze Volk ist gern dabei.

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