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Burgtheater: Liebesbestien in Wien

Saisonstart am Burgtheater: Martin Kušej inszeniert den "Weibsteufel": Eine blutige Dreiecksgeschichte, orientiert an den Ehehöllenspezialisten Ibsen und Strindberg.

Wie zwei wilde Tiere belauern sie einander, als könnte die kleinste Bewegung tödliche Folgen haben. Gleich einer Wildkatze liegt sie bäuchlings auf einem riesigen, gefällten Baumstamm, lasziv und gefährlich, während er ein paar Meter über ihr hockt: Beide konzentriert, zum Sprung bereit, als wäre die Liebe ein Kampf um Leben oder Tod.

In diesem Krieg der Geschlechter, scheinbar unlösbar verquickt mit den ökonomischen Verwertungsmechanismen, gibt es nur Verlierer: Zwar triumphiert am Ende von Karl Schönherrs Volksdrama „Der Weibsteufel“ (1914) die Frau als Herrin der Ökonomie über die Männer – aber sie bleibt einsam. Eine blutige Dreiecksgeschichte, orientiert an den Ehehöllenspezialisten Ibsen und Strindberg, ein Emanzipationsdrama, in dem aus der Gedemütigten die Rachefurie wird, geschult am menschenverachtenden Konkurrenzdenken der Männer: „Ihr habts mich gut abgrichtet!“, lautet die Erkenntnis der Frau, die zum „Weibsteufel“ wird, als sie die ihr zugedachte Rolle einer zum gesellschaftlichen Aufstieg dienenden „Sach“ gegen die Männer kehrt.

Birgit Minichmayr gelingt es im Wiener Akademietheater, den schleichenden Bewusstseinswandel körperlich sichtbar zu machen, dem die Frau unterliegt, als ihr Mann sie dem ehrgeizigen Grenzsoldaten als Köder opfert, um seine Schmuggelgeschäfte unbeobachtet abwickeln zu können. Doch aus dem ökonomischen Spiel wird emotionaler Ernst, als sich die beiden ineinander verlieben. Weil schließlich auch der Gebirgsjäger die Frau für seinen gesellschaftlichen Aufstieg fallen lässt, hetzt sie in ihrer Verzweiflung die Rivalen aufeinander, bis der junge Grenzjäger den Gatten ersticht: „Ihr Mannderln, geht euch jetzt das Grausen an?“, fragt sie am Ende als reiche Witwe.

Das Verdienst Martin Kušejs als Regisseur dieser Inszenierung zur Eröffnung von Klaus Bachlers letzter Burgtheater-Saison liegt darin, dass er Schönherrs wohl erfolgreichstes Volksstück allen alpinen Kolorits entkleidet und damit die bis heute wirksamen, gesellschaftlichen Gewaltstrukturen erkennbar macht. Auf diese Weise wird deutlich, warum Karl Schönherr noch in den 1920er Jahren neben Arthur Schnitzler zu den bedeutendsten österreichischen Dramatikern zählte, ehe er von den Nazis auf Grund seiner Urtümlichkeit vereinnahmt wurde.

In einer Mischung aus Dialekt und Hochdeutsch unterstreicht Kušej die ins Allgemeine weisende Künstlichkeit der Schönherr’schen Volkssprache und transformiert mit Bühnenbildner Martin Zehetgruber dessen Tiroler Hütten-Stube in eine Art Wildtiergehege. Wie von einem steilen Abhang scheinen riesige, graue Baumstämme ganz willkürlich auf die nackte Bühne des Akademietheaters gerutscht zu sein. Auf ihnen balancieren Werner Wölbern als kalt-schlauer Ehemann, Birgit Minichmayr als sein Weib und Nicholas Ofczarek als Kraftlackel in der grauen Uniform eines Grenzsoldaten (Kostüme: Heide Kastler), als könnte das fragile Baumgebilde gleich deren heiklem Beziehungsgeflecht jeden Moment gefährlich verrutschen.

Der Menschenzoo als beunruhigend-surreale Metapher für eine Gesellschaft gewinnorientierter Bestien, die den Bezug zu sich selbst und zu ihrer Natur verloren haben. Gewalt wird zum Ausdruck von Nähe, wenn Ofcareks Jäger den Hals seiner Geliebten so lange zudrückt, bis sich aus dem Griff ein Kuss löst. Längst verloren ist die Gewissheit, ob Minichmayrs „Weibsteufel“ hier wahrhaftig mit Liebe reagiert oder das Gefühl bereits zum Vehikel ihrer Rache an den Männern geworden ist – zwei „feigen Hunden“ instrumenteller Vernunft. Bei Kušej aber treibt diese Erkenntnis die Frau in eine Traumverlorenheit, die sie im Finale zum Opfer macht, anstatt ihr jenen, die Männerwelt imitierenden Realitätssinn zu gewähren, der Schönherrs auf beide Geschlechter zielende, kritische Emanzipationsforderung deutlich machte.

Wie eine Zirkusprinzessin schwebt Birgit Minichmayr zum Elektronik-Sound Bert Wredes über der Bühne, dreht sich an Seilen um die eigene Achse, um schließlich wie eine Marionette die beiden Männer lasziv zu umtanzen. Aus einem körperlosen Mädchen mit hängenden Schultern wurde innerhalb zweier Stunden eine Frau, die trunken alle Register der Verführung zieht, um am Ende trostlos im Dunkel der Bühne zu verglühen.

Einem hochkonzentrierten Dreierensemble verpasst Kušej sein allzu routiniertes, formal-strukturierendes Korsett aus stakkatoartigen Szenenschnitten, die jeweils von halbdunklen Schattenrissen begleitet werden: Gefrorene Bilder posierender Figuren, deren zerstörerisch-dynamische Leidenschaften Kušejs allzu vorhersehbarer Reißbrett-Formalismus derart domestiziert, dass aus Schönherrs wütend aufklärendem „Weibsteufel“ lediglich ein affirmatives Lehrstück über ein betrübliches Frauenschicksal wird. Schönherrs gesellschaftliche Diagnose bleibt in dieser perfekt saturierten Konfektionsarbeit auf der Strecke.

Christina Kaindl-Hönig

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