zum Hauptinhalt
Das Kind in der Erdhöhle. Josef und der Schäfer sind unten links, daneben wird das Neugeborene gebadet. Fresko im Kirchlein des Erzengels Michael im Dorf Galata (um 1500), eine der zehn zum Weltkulturerbe erklärten Scheunendachkirchen im Troodos-Gebirge auf Zypern.

© Wikimedia

Byzantinische Weihnachtsbilder: Wer war Josef von Nazareth?

Die byzantinischen Fresken liefern Informationen, werfen aber auch ganz neue Fragen auf. Eine Randbetrachtung zum Fest der Geburt.

Er ist der Außenseiter. Hockt abseits, neben dem Stallpfosten oder auf einem Felsbrocken, die Stirn in Falten gelegt, den Kopf in die Hand gestützt. Der Mann hat offenbar ein Problem. Ein Grübler, nachdenklich, ratlos. Vor ihm steht ein Schäfer im Fellgewand, ein Schafsmann, er hört zu, beruhigt den Betrübten – gab’s damals schon Männergruppen?

Josef von Nazareth hat es wahrlich nicht leicht. Da ist die seltsame Sache mit der Jungfrauengeburt und der schmerzfreien Niederkunft, da waren diese beharrlichen geflügelten Geisterwesen, die ihn gleich mehrfach im Traum heimgesucht hatten. Kein Wunder, dass nach der vergeblichen Wohnungssuche nun der Zweifel an ihm nagt und er hier, im Stall von Bethlehem, Ochs und Esel den Vortritt lässt.

Was heißt schon Stall: Unsereins im westlichen Abendland kennt ja eher die idyllischen Bilder vom trauten, hochheiligen Paar, das Kind mit Mutter und Ziehvater friedlich in der Hütte vereint. Josef hält fürsorglich die Laterne oder kniet vor dem Bett mit Maria samt Baby und pustet liebevoll ins Feuer, damit die Suppe heiß wird. Bei Konrad von Soest auf dem Wildunger Altar verbrennt er sich dabei fast den Bart.

Auf den byzantinischen Bildern ist kein Stall, sondern eine Felsenhöhle

Die Ostkirche macht sich andere Bilder. Kein Stall, sondern eine felsige Höhle in unwirtlicher Gegend, so ähnlich schildert auch der Koran Christi Geburt. Maria liegt im Erdloch oder am Rand des Kraters, das Kind allein in der Höhlenfinsternis, in Leichentücher gewickelt im steinernen Sarg. Die Mutter streckt nicht mal die Arme nach ihm aus. Und Josef ist an den linken unteren Bildrand gerückt.

Josef sitzt zweifelnd links unten am Bildrand. Bei ihm ein Hirte im Schaffell. Fresko in der Scheunendachkirche in Galata, Zypern, 15. Jhdt.
Josef sitzt zweifelnd links unten am Bildrand. Bei ihm ein Hirte im Schaffell. Fresko in der Scheunendachkirche in Galata, Zypern, 15. Jhdt.

© Wikimedia

Das Szenario findet sich hundertfach auf orthodoxen Weihnachtsikonen, russischen, griechischen, auch auf den byzantinischen Fresken in den uralten Scheunendachkirchen im Troodos-Gebirge auf Zypern. Die ältesten stammen aus dem 11. und 12. Jahrhundert. Es war die Zeit, als die Mittelmeervölker mit ihren Kulturen und Religionen sich miteinander herumschlugen oder sich friedlich mischten, zumal auf Zypern, jener Insel, die im Lauf der Jahrhunderte von allen heimgesucht wurde, Phöniziern, Assyrern, Nabatäern, Griechen, Römern, Syrern, Mamelucken, Franken, Christen, Osmanen ...

Der Schafsmann ist fast immer dabei. Meist ein wenig kleiner als Josef, mit Stab und dickem Zottelmantel. Die Gelehrten streiten sich, ob er nun den Zweifel verkörpert oder den Propheten Jesaja, der die Jungfrauengeburt ja prophezeit hat. Oder den Teufel, möglicherweise.

Die Scheunendachkirchen auf Zypern sind tolle Bilderbücher

Es macht Spaß, die Varianten zu erkunden. In den bis zum letzten Zentimeter in leuchtenden Farben ausgemalten Troodos-Bergkirchen tummeln sich Götter, Heilige und Kirchenväter, Erzengel mit dicken Waden, bibbernde Märtyrer auf zugefrorenem See, Flügelwesen, die das Himmelszelt wie ein Pergament entrollen, Verdammte in der Hölle, die mit den Zähnen klappern, oder auch der heilige Mamas, Schutzpatron der Steuerbetrüger, auf seinem Löwengetier. Glaube, Aberglaube, Irrglaube, Verzückung, Horror, Märchen und Dokument: Mal springen bei Christi Geburt kleine Ziegen und Steinböcke herum, die Tiere der Bergregion, mal trägt der Schafsmann Glatze und Pantoffeln, mal zeigt er Beinfreiheit oder wird von einem flötenden Knaben begleitet.

Essen fertig! Konrad von Soests Wildunger Altar, um 1403 (Detail).
Essen fertig! Konrad von Soests Wildunger Altar, um 1403 (Detail).

© Wikimedia

Nicht, dass das alles in der Bibel steht. Meist stammen die Ikonografien aus den apokryphen Schriften, dem Protoevangelium des Jakobus aus dem 2. Jahrhundert oder aus der späteren Legenda aurea, dem Volksbuch des Mittelalters. Es sind hochsymbolische Bilder – die Wiege als Grab verweist auf den Kreuzestod –, zugleich illustrieren sie volkstümliche Legenden. Bei den Evangelisten wird Josef nur knapp erwähnt, in den Apokryphen erfährt man umso mehr über den Handwerker und das Mädchen, von ihren Sorgen und Nöten, den Anfeindungen und Tempelprüfungen wegen Prostitutionsverdacht, dem Überleben in kriegerischen Zeiten. Mal ist Josef Architekt, mal Schreiner, mal Witwer mit erwachsenen Söhnen. Jesus hat Halbgeschwister, eine Patchworkfamilie.

Schutzpatron der Eheleute, Handwerker, Obdachlosen, Sterbenden

Das Kind in der Erdhöhle. Josef und der Schäfer sind unten links, daneben wird das Neugeborene gebadet. Fresko im Kirchlein des Erzengels Michael im Dorf Galata (um 1500), eine der zehn zum Weltkulturerbe erklärten Scheunendachkirchen im Troodos-Gebirge auf Zypern.
Das Kind in der Erdhöhle. Josef und der Schäfer sind unten links, daneben wird das Neugeborene gebadet. Fresko im Kirchlein des Erzengels Michael im Dorf Galata (um 1500), eine der zehn zum Weltkulturerbe erklärten Scheunendachkirchen im Troodos-Gebirge auf Zypern.

© Wikimedia

Die orthodoxen Kirchen, zumal die Weltkulturerbe-Kirchen in den Bergen von Zypern, sind regelrechte Bilderbücher, mit Szenen, Zyklen und Figuren nach festem Kanon. Aber der Mensch kann nicht anders, er malt sich aus, was er nicht kennt, lässt die Fantasie ins Kraut schießen, macht sich einen Reim auf die heiligen Schriften, schmuggelt seine Wirklichkeit hinein. Den Steinbock, den Zweifel, den Schafsmann.

Himmel und Erde, Mystik und Alltag gehen in eins. Die Welt ist geprägt von Migration, Flüchtlingen, Prekariat und dem lauernden Tod. Oben im Bild nähern sich neben Engeln und Tierhütern auch die drei Weisen aus Persien, unten rechts wird das Neugeborene gebadet, von einer Hebamme und ihrer Helferin, manchmal sieht der Bottich wie ein Taufbecken aus.

Der Lesart der frühen Christen zufolge ist eine davon Salome, sie glaubt die Geschichte mit der Jungfrauengeburt nicht und wird mittels Wunder belehrt. Auch das ein prophetischer Hinweis auf Ostern, auf die zwei Frauen am leeren Grab. Wer es weniger fromm will: Auf den Fresken sind einfach zwei kundige, praktische Frauen zu sehen, die ein Baby baden. Der Anblick des Leichentuchsäuglings lässt sich so besser ertragen.

Josef zweifelte, aber tat, was zu tun ist

Der hebräische Name „Joseph“ bedeutet: Gott fügt hinzu. Ein Beigesellter, ein Statist, eine Randerscheinung. Karriere hat er in der Westkirche erst später gemacht, als einer, der nicht groß daherredet, sondern anpackt, allen Zweifeln und Ängsten zum Trotz. Die Familie muss weg aus dem Nahen Osten, die Terrormiliz des Herodes ist ihr auf den Fersen, es geht um Leben und Tod – und Josef organisiert die Flucht nach Ägypten.

Der Verkündigungsengel Gabriel in der kleinen Erzengel-Gabriel-Kirche in Galata auf Zypern. Auch sie ist Weltkulturerbe.
Der Verkündigungsengel Gabriel in der kleinen Erzengel-Gabriel-Kirche in Galata auf Zypern. Auch sie ist Weltkulturerbe.

© Imago

So will es die Legende: Josef ist ein einfacher, zurückhaltender Mann, verarmter Adel aus dem Hause Davids. Ein neuer Vater, ein Hausmann, überfordert, aber zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Ein Träumer, ein Zauderer, der nach dem Erwachen aber tut, was zu tun ist. Er wurde zum Schutzheiligen der Eheleute, der Familien, der Jungfrauen, der Erzieher, der Zimmerleute, der Holzfäller, der Ingenieure, der Obdachlosen, der Sterbenden. Ganz schön viel für einen allein. Im 15. Jahrhundert wurde der 19. März zum Josefs-Festtag erklärt, Pius IX. machte ihn 1870 zum Schutzpatron der katholischen Kirche, 1955 funktionierte Pius XII. den 1. Mai kurzerhand vom sozialistischen Tag der Arbeit zum „Josef der Arbeiter“-Tag um.

Und heute? Ist die Sache mit der Jungfrauengeburt immer noch unklar. Die einen glauben’s, die anderen nicht. Anfang der 90er Jahre hat der wildverrückte, leider dann bald gestorbene kanadische Filmemacher Jean-Claude Lauzon – ein Alleingänger, der in den Wäldern lebte – in seiner Tragikomödie „Léolo“ eine Erklärung versucht. Der 14-jährige Léo glaubt, dass er nicht der Sohn seines Vaters ist und seine geliebte Mutter von einem anderen schwanger wurde. Er denkt sich eine Story aus: Der Vater, ein Italiener, sieht eine feurige Schöne auf dem Markt und masturbiert auf eine Kiste Tomaten. Die wird nach Montreal exportiert, wo seine Mutter versehentlich in eben jene Kiste fällt. Eine der italienischen Tomaten verirrt sich unter ihren Rock...

Jesus, das Drei-Eltern-Baby? Die Bibel legt es nahe

Eine abwegige, blasphemische Fantasie? Auf den Fresken in den Troodos-Kirchen finden sich auch zahlreiche Verkündigungen, mit Maria, dem Erzengel Gabriel und einem Himmelsstrahl, der der Jungfrau manchmal direkt in den Leib fährt. Auch der Gottessohn soll ja aus dem Hause Davids stammen, irgendwie ist er schon mit Josef verwandt. Jesus, das Drei-Eltern-Baby. In England ist sie gerade erlaubt worden, die künstliche Befruchtung mit der DNA von Vater, Mutter, Eizellspenderin. In Mexiko kam im Herbst ein Kind mit dreifachem Erbgut zur Welt. Den Göttern ist nichts Irdisches fremd. Nur Josef hätte da wohl seine Zweifel.

Zur Startseite