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Cameron Diaz und Jason Segel in „Sex Tape“.

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Cameron Diaz und Jason Segel in „Sex Tape“: Was? Wir? Nackt im Netz?

Die Panne mit dem Video: Cameron Diaz und Jason Segel geben in „Sex Tape“ die Digital Dummies. Dabei müssen sie erkennen, dass mit der Beseitigung der Hardware ihre Privatsphäre keineswegs wieder hergestellt ist.

Einem Digital Native wäre das nicht passiert: so ein Synchronisierungsunfall, wie er noch tausendfach geschieht bei ungeübten Nutzern auf der Schwelle zum digitalen Zeitalter. Ein Kollateralschaden der Zeitenwende wie die Facebook-Partys, die die Polizei auflösen muss, weil versehentlich die ganze Welt eingeladen ist.

Versehentlich zu viele Leute informiert haben auch Annie (Cameron Diaz) und Jay (Jason Segel). Denn der Abgleich von Jays Person mit der Welt geschieht ganz automatisch: Alle iPads, die Jay jemals verschenkt hat, werden grundsätzlich mit seinem eigenen synchronisiert, sobald er sich einloggt. Und Jay, der Technik-Junkie, hat vielen Leuten eines geschenkt – der Schwiegermutter, Freunden, sogar dem Postboten.

Doch diesmal befindet sich auf seinem Gerät eben nicht nur seine einzigartige, allseits geschätzte Playlist. Sondern ein selbst gedrehtes Sex-Video, das ihn mit Annie zeigt, seiner Ehefrau und der Mutter seiner beiden Kinder. Denn irgendwann war dieses Paar mit seinem erloschenen Liebesleben derart verzweifelt, dass es das iPad aufrecht in den Wäschekorb steckte, Kamera stracks aufs Wohnzimmersofa. Sie schalteten auf „Aufnahme“ und schlugen einen Klassiker des Holzmedium-Zeitalters auf:  den Ratgeber „The Joy of Sex“ von 1972. „Uuuh, die waren früher haariger.“ Dann geht es los, nach Anleitung, Stellung für Stellung. Alles ist multipel.

"Sex Tape" - ein Lehrfilm

Klar, man könnte auf die Idee kommen, es gehe hier um Sex. Er ist ja dauernd zu sehen. Jake Kasdans „Sex Tape“ ist tatsächlich ein Lehrfilm. Aber er will die Neuen Medien erklären. Angela Merkels Neuland. Die Versuchung unserer Zeit. „Kennst du die Cloud?“ – Also wer hat die schon verstanden? Jedenfalls hängt sie jetzt dräuend über diesem Ehepaar, als es bemerkt, dass es nicht mehr alleiniger Besitzer seines Drei-Stunden-Films ist.

Zu sehen sind die verführerischen Spielarten des digitalen Lebens – und seine Macht über uns. Wer gerade oben ist und wer unten. Und wie viel Privatsphäre noch bleibt zwischen all den Spannern und Spionen, die multiples Vergnügen in vielfachen Missbrauch verwandeln. Cameron Diaz räkelt sich auf der Motorhaube des attraktivsten Geschosses der Gegenwart, des World Wide Web. Sie macht das ziemlich souverän. Kein Wunder, in „Verrückt nach Mary“ hat sie schon einmal eine Szene mit Sperma im Haar für sich entschieden.

Aber Annie, ihre Filmfigur, hat etwas zu verlieren. Sie schreibt nämlich einen Blog mit den saftigsten Szenen ihrer Ehe, so dass sich Diaz beim Schreiben immer auf die Unterlippe beißen muss. Den Blog will sie verkaufen, der darf ruhig eine Ware werden. Und Piper Brothers hat Interesse, die internationale Spielzeugfirma. Die hat einen smarten Manager, attraktive Märkte, sexy neue Vertriebswege, und nun braucht sie dafür bloß noch: Content. Das neue Wort für Inhalt. Schmiermittel für anderer Leute Zwecke. In diesem Fall für die „Werte“ eines Spielzeugfabrikanten. Und Sex, das Mysterium der Menschheit, ist da auch bloß Content.

Leibhaftiger! Glaubt man Studien, tut es ja kaum noch einer analog. Sex werde zunehmend am Bildschirm konsumiert. Er dient auch hauptsächlich dazu, etwas anderes zu verkaufen: Autos, Möbel, Technik, Spielzeug und Filme eben auch.

"Siri, wie geht Wiederbelebung bei Hunden?"

In dieser Komödie jagen Annie und Jay nun den verschenkten iPads hinterher, und jede smarte Anwendung wird temporeich durchdekliniert: Fumpp, da flammt ferngesteuert das Kaminfeuer auf. Der CEO von Piper Brothers gibt mit seinem Smart Home an. Währenddessen entgleitet Jay eine Auseinandersetzung mit dessen Schäferhund: „Siri“, fleht er seine Software an, „wie geht Wiederbelebung bei Hunden?“

Digitale Features sind hier das Problem und die Lösung zugleich. Alle Türen führen ins Netz. Und alles, was einmal darin ist, selbst der Beifang, kann von anderen benutzt werden. Der Schulfreund des Sohnes wittert Geld und erpresst das Paar: 25 000 Dollar, oder sie landen mit ihrem Film auf YouPorn! Zum Glück wohnt man in Kalifornien. Annie und Jay fahren kurzerhand hin und rammen dem Betreiber von YouPorn mal eben die Garagenzufahrt ein, um seinen Server zu zerstören. Der ist so gut und löscht das Ding.

Niedlich, wie die beiden Digital Dummies noch immer versuchen, Hardware zu beseitigen, während der Content längst ortlos geworden ist. Von der Möglichkeit zur Fernlöschung erfahren sie erst ziemlich spät. Wer bei „The Big Apple“ nicht an New York, sondern an Cupertino denkt, für den ist der Apfel tatsächlich noch immer eine der größten Versuchungen der Zeit. Laufend werden neue, attraktive Apfelsorten erfunden. Auch dieser Film ist ein Werbefilm für Äpfel. Aber egal, wer naiv davon kostet, ob – wie soeben im echten Leben – die Stars in Hollywood oder Hinz oder Kunz: An der Strafe hat sich seit der Bibel nichts geändert. Sie alle müssen erkennen, dass sie nackt sind.

In 18 Berliner Kinos; Originalversion im Cinestar SonyCenter

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